Vertragsbruch

Arne Vogelgesangs kluges Re-Enactment des rechten Reichsbürger-Untergrunds

Von Tom Mustroph

Der Performer und Internet-Flaneur Arne Vogelgesang hat eine Vorliebe für obskure politische Gestalten. Nach Neuen Rechten und jungen Islamisten hat es ihm aktuell die schon seit mehr als 30 Jahren existierende, es aber erst in letzter Zeit zu einiger Beachtung gebracht habende Bewegung der Reichsbürger angetan. In „Staatenlos“ führt Vogelgesang nun Videos von Gründungsevents und Ideologie-Workshops vor, deren Tonspur von ihm selbst und weiteren Performern eingesprochen wird. Daraus erwuchsen bei der Aufführung im Berliner Theaterdiscounter hübsche Verfremdungsmomente. Und dazu einige Erkenntnisse.

Die erste ist noch recht banal: Da sammelt sich etwas, jenseits noch von AfD und Pegida, und zuweilen in drollig anmutender Differenz dazu. Vogelgesang hat Aktivisten ausgegraben, die die Bundesrepublik ablehnen und denen AfD und Pegida einfach zu „lemminghaft“ sind. Andererseits haben sie die Forderung „keine Gewalt“ verinnerlicht. Brandsätze auf Geflüchteten-Unterkünfte werfen, wie sie es bei Teilen von Pegida und AfD beobachten, so etwas lehnen sie empört ab. Holla!

Damit rutscht man ganz sacht in eine zweite Erkenntnisschleife: Manche Sprüche und Verhaltensweisen der Reichsbürger-Szene docken glattweg an Idealen der Linken an. Gründungen von eigenen utopischen Staatsgebilden mit neuen Regelwerken waren in den 1970ern und 80ern durchaus en vogue. Wenn Vogelgesang in der Eingangssequenz das aus Herzen gebildete Logo des sogenannten „Staatenbundes Österreich“ einblendet und dessen führende Gestalt, die einstige Bäuerin Monika Unger, von „freien Menschen“ reden lässt und davon, dass sie Staaten, Banken und sogar Spielcasinos abschaffen will, dann könnte man sich auch in eine alte Hippie-Kommune versetzt fühlen. Handlungsort ist indes ein rustikales Wirtshaus.

Wie Frau Unger, die sich im neuen Duktus „monika aus der familie unger“ nennt – kein neuer Staat ohne Neusprech –, die Bundesrepublik Österreich ablehnt, so geht es hiesigen sogenannten Reichsbürgern mit der Bundesrepublik Deutschland. Auch sie gründen Fantasiestaaten wie etwa das sogenannte „Königreich Deutschland“ des Peter Fitzek oder den „Staat Ur“ des Adrian Ursache. Ursache, Ex-Model und Ex-Mobilfunk-Vertreter, flimmert als Workshop-Leiter über die Bildschirme. Seine Technik ist es, Polizisten jede Legitimation abzuerkennen und sie mit verballhorntem Juristendeutsch zu verunsichern. Im Gefängnis verweigert er Essen, Schlafdecken und Hofgang – geradezu ein Lehrstück in zivilem Umgehorsam, das ihm sogar die Freiheit bescherte. „Nach drei Tagen warfen sie mich aus dem Gefängnis“, erzählt er triumphierend.

Dank des Verzichts auf das Label Totschläger lässt man sich stärker auf das Denken der Protagonisten ein

Ursache freilich schoss später auf Polizisten und muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Dort setzt er seine verbalen Verunsicherungsstrategien fort, was zu einer Verlängerung des Prozesses führt. Mit Ursache offenbar in Verbindung stand Wolfgang P., der Polizistenmörder aus Georgensgmünd, ein weiterer Reichsbürger. Diese eklatanten Vorfälle ließ „Staatenlos“ aus. Man mag das als verharmlosend kritisieren.

Der Verzicht auf das Label Totschläger und Waffennarren bewirkte andererseits, dass man sich stärker auf das Denken der Protagonisten einlassen konnte. Das allerdings war oft so wirr, dass der Abend zur politischen Freakshow mutierte. Selbst sie aber machte deutlich, dass einer Gesellschaft, die ihren Vertrag auf Chancengerechtigkeit nicht einhält, die Leute davonlaufen. Sie landen dabei nicht mehr in den alten Empörungsinstitutionen der Sozialdemokraten, Sozialisten oder Anarchisten, sondern bilden ganz eigene Netzwerke. Die kann man bekämpfen. Man kann aber, auch hier, so etwas wie „Fluchtursachenforschung“ betreiben. „Staatenlos“ ist ein zaghafter Schritt in diese Richtung.