Kroatien in Not

Die Pleite des Konzerns Agrokor könnte fatale Folgen haben.Auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten sind schlecht

Schändung eines Denkmals für den Zweiten Weltkrieg durch ein faschistisches Emblem vor wenigen Tagen in Zagreb Foto: Zvonimir Kuhtic/dpa

Aus Split Erich Rathfelder

Mit der Ausstellung eines internationalen Haftbefehls gegen den bisher mächtigsten Unternehmer des Landes, Ivica Todorić, hat die Staatsanwaltschaft Kroatiens nach langem Zögern doch noch gehandelt. Dem flüchtigen 66-jährigen Unternehmer werden Bilanzfälschung und Konkursverschleppung vorgeworfen.

Der Skandal um Agrokor könnte das Land wirtschaftlich und politisch in den Abgrund reißen. Mit der Pleite des Mischkonzerns stehen jetzt nicht nur 60.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, sondern 500.000 weitere, die indirekt vom Konzern abhängig sind. Agrokor erwirtschaftete rund 15 Prozent des Bruttosozialprodukts des Landes und ist ein aus 143 Firmen gebildeter Mischkonzern, der sowohl in der Produktion wie in der Distribution von Lebensmitteln aktiv ist.

Mit 800 Filialen war die Supermarktkette Konzum bis vor Kurzem noch mit dem ehemals slowenischen Kaufhauskonzern Mercator (2013 von Agrokor übernommen) nicht nur in Kroatien marktbeherrschend, auch in den Nachbarländern Bosnien und Herzegowina und Slowenien bedeutsam.

Todorić konnte der Aufbau des größten Lebensmittelkonzerns auf dem Balkan nur gelingen, weil er nach dem Zerfall Jugoslawiens 1991 die Nähe des ersten Präsidenten des Landes, Franjo Tudjman, gesucht hatte. Es gelang Todorić während der Phase der Privatisierungen Anfang der 90er Jahre, viele Firmen aus dem Fundus der „sozialistischen volkseigenen Betriebe“ buchstäblich „für einen Appel und ein Ei“ zu übernehmen.

Angesichts der politischen Nähe zur konservativen Regierungspartei HDZ war Todorić jedoch auch zu „Gefälligkeiten“ bereit und verteilte wichtige Posten in seinem Konzern an Politiker. Dieses Klientelsystem wurde auch unter den sozialdemokratischen Regierungen aufrechterhalten und bestand bis vor Kurzem fort. Todorić gelang es zudem, große Summen aus der Firma für sich und seine Verwandten abzuzweigen.

Kritiker sehen in der mangelnden Staatsaufsicht einen der wichtigsten Gründe für den Niedergang des Konzerns. Der Staat drückte angesichts des sich entwickelnden Schuldenbergs beide Augen zu und war sogar bereit, Bürgschaften für Kredite zu garantieren.

Mit dem Beitritt zur EU 2013 tauchten zudem Konkurrenten auf. Die deutschen Lebensmittelketten Lidl und Kaufland brachten Konzum und Mercator in Bedrängnis. Bis April dieses Jahres häufte Agrokor einen Schuldenberg von über 5 Milliarden Euro auf, allein über eine Milliarde Euro bei russischen Banken (Sperbank).

Ein Aufschwung durch den EU-Beitritt, den viele Kroaten erhofften,ist ausgeblieben

Seit April 2017 versucht ein Staatskommissar den Konzern zu retten und Gläubiger, darunter viele Zulieferfirmen, wenigstens halbwegs durch die Aufnahme neuer Überbrückungskredite zu beruhigen.

Vor wenigen Tagen besuchte die Präsidentin des Landes, Kolinda Grabar-Kitarović, den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau, um über weitere russische Kredite zu verhandeln. Die russische Seite zögert jedoch, sie will als Kompensation für absehbare Verluste im Bankensektor einen erweiterten Zugriff auf die ebenfalls zum Konzern gehörende Ölindustrie erreichen.

Vom EU-Beitritt erhofften sich die 4,5 Millionen Kroaten noch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Außenpolitisch versprach die damalige Regierung eine politische Führungsrolle des Landes bei der Integration der Staaten des Westbalkan zu spielen. In den Nachbarländern Serbien sowie Bosnien und Herzegowina hatte das große Erwartungen geweckt. Und auch in Slowenien erhoffte man sich den Grenzkonflikt in Bezug auf die Bucht von Piran an der Adria zu lösen.

Doch das alles blieben leere Versprechungen. Der wirtschaftliche Aufschwung ist trotz des Touristenbooms der letzten Jahre ausgeblieben. Außenpolitisch hat Kroatien den Konflikt mit Serbien und Slowenien wieder verschärft und mit der Behauptung, Zehntausende von Salafisten seien auf bosnischer Seite an der Grenze zu Kroatien aufmarschiert, heftige Reaktionen in Sarajevo ausgelöst. So vermuten viele Beobachter, die Präsidentin spiele mit dem Nationalismus, um von der Agrokorkrise abzulenken.