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Gute Nachricht für Arbeitnehmer

Der Fachkräftemangel erfasst immer mehr Branchen, doch dank der Digitalisierung werden qualifizierte Mitarbeiter in vielen Bereichen gesucht

Doch technische Fachkraft werden? Wer sich beruflich umorientieren möchte, sollte den Bedarf am Arbeitsmarkt kennen Foto: Martin Schutt/dpa/picture alliance

Von Lars Klaaßen

Zum Auftakt der Hannover Messe stellte VDI-Direktor Ralph Appel im April eine neue Studie zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Produktionsstandort Deutschland vor. Zentrales Ergebnis: Der Einsatz von Digitalisierungstechnologien wirkt sich positiv auf die Rückverlagerung von Produktionskapazitäten nach Deutschland aus und bewegt Unternehmen dazu, wieder vermehrt hierzulande zu investieren. Diese erfreuliche Entwicklung spiegelt sich auch auf dem Arbeitsmarkt wider: So stieg die Nachfrage nach Ingenieuren im ersten Quartal 2017 weiter auf 74.120 – ein Plus von 12,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. „Weiterhin ist die hohe Arbeitskräftenachfrage in den Bereichen Bau, Maschinen- und Fahrzeugtechnik sowie Energie- und Elektrotechnik Haupttreiber der positiven Beschäftigungssituation am Ingenieurarbeitsmarkt.“ Zu diesem Ergebnis kommt der neue Ingenieurmonitor, den das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des VDI vierteljährlich erstellt.

Das IW beleuchtet aber auch die Schattenseite dieser positiven Entwicklung: „Der Fachkräftemangel, der lange nur für Berufe im mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Bereich ausgerufen wurde, erfasst inzwischen immer mehr Branchen“, kon­sta­tiert das Institut in einer weiteren Studie. Ingenieure, Pflegekräfte und Lehrer fehlten ja schon länger, „doch mittlerweile sind in einigen Regionen Deutschlands auch Fachkräfte in der öffentlichen Verwaltung, Softwareentwickler und Speditionskaufleute knapp“. Garten- und Landschaftsbauer suchte so mancher Arbeitgeber derzeit ebenfalls vergeblich.

Eine Qualifizierung ist für Umorientierungswillige oder Arbeitsuchende vor allem dann sinnvoll, wenn nach deren Absolvierung auch gute Aussichten auf einen Arbeitsplatz bestehen. Hier ist es entscheidend, den Bedarf am Arbeitsmarkt zu kennen. Neben der individuellen Recherche in Stellenbörsen stehen den Weiterbildungswilligen verschiedene Instrumente zur Verfügung: Die Bundesagentur für Arbeit erstellt beispielsweise regional angepasste Qualifizierungsplanungen sowie eine Fachkräfteengpassanalyse, die aktuelle Bedarfe aufzeigt. Ein weiteres Instrument ist das IAB-Arbeitsmarktbarometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die regionalen Agenturen für Arbeit und die Jobcenter des Agenturbezirks erstellen jährlich einen Qualifizierungs- bzw. Bildungszielplan, in dem Qualifizierungsschwerpunkte festgelegt werden. Diese orientieren sich an der Nachfrage nach Fachkräften am regionalen Arbeitsmarkt.

„Sowohl im Inland als auch im Ausland stehen noch zahlreiche Fachkräfte zur Ver­fügung“, betont Mandy ­Pastohr, die den Fachbereich Unternehmensentwicklung und Fachkräfte­sicherung im RKW Kompetenzzentrum leitet, wo Experten mit und für mittelständische Unternehmen an Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft arbeiten – unter anderem bei der Fachkräftesicherung. „Unternehmer“, so Pastohr, „sollten ihren Fokus möglichst weit öffnen, um den Bewerberkreis möglichst lückenlos auszuschöpfen.“ Wer in einer Stellenanzeige viele unterschiedliche Zielgruppen anspreche, erweitere damit die Auswahl­möglichkeiten und erhöhe die Chancen, den Wunschkandidaten zu finden. Auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt deutschen Unternehmen beim Recruiting Vorteile: „Vor allem in den Grenzregionen macht sich das bemerkbar“, sagt ­Pastohr. „Wer wiederum Arbeitnehmer aus ganz anderen Ecken Europas ins Unternehmen holt, sollte gegebenenfalls kulturelle Unterschiede berücksichtigen.“ Diese machten sich eher in ländlichen ­Räumen bemerkbar, während etwa der Wechsel von Madrid nach Berlin in der Regel leichter von der Hand gehe.

Alle sechs Monate veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit eine Fachkräfteengpassanalyse. Auf deren ersten Seiten findet sich eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Darüber hinaus stellt die Bundesagentur für Arbeit eine Reihe weiterer Informationen aus umfangreichen Statistiken bereit. https://statistik.arbeitsagentur.de.

Grundlage für das IAB-Arbeitsmarktbarometer bildet eine monatliche Befragung der regionalen Arbeitsagenturen zu Prognosen zum Arbeitsmarkt in den kommenden drei Monaten. Der Wert des IAB-Arbeitsmarktbarometers kann sich zwischen 90 (stark steigend) und 110 (stark sinkend) bewegen. Der aktuelle Wert steht hier: www.iab.de/de/daten/arbeitsmarktbarometer.

Unternehmen, die Fachkräfte gewinnen wollen, müssen umgekehrt aber auch für Arbeitnehmer attraktiv sein. „Und da geht es nicht bloß ums Gehalt“, betont Pastohr. „Wichtige Faktoren sind Entwicklungsperspektiven, Anerkennung, das fachliche Spektrum im Job und das Betriebsklima.“ Ob etwa Selbstständigkeit oder klare Vorgaben gewünscht sind, ist unterschiedlich. „So legen Jüngere meist stärkeren Wert auf Entscheidungsfreiräume und die Work-Life-Balance“, weiß Pastohr.

In der Leitungsebene seien diesbezüglich neue Qualitäten gefragt. Von oben nach unten delegieren war gestern: „Heute sollten Chefs ihre Mitarbeiter fragen, wie sie geführt werden möchten.“