KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

Meike Jansen

Worte, immer und immer wieder dieselben Worte, so oft unter Druck wiederholt, dass die Lügen zur vermeintlichen Wahrheit werden. Die ungarische Künstlerin Hajnal Németh arbeitet mit ihrer filmischen Opernperformance „False Testimony“ die Ritualmordlegende von Tiszaeszlár für die Gegenwart auf. Hierfür inszeniert Németh die Geschichte um die Ermordung des christlichen Mädchens Eszter Solymosi im Jahr 1882, das angeblich aus Anlass des Pessachfestes von jüdischen Bewohnern des Ortes rituell hingerichtet wurde, als dialogische Oper. Im Zentrum stehen der 14-jährige Kronzeuge Móric Scharf, der tatsächlich sah, wie sein Vater das Mädchen ansprach, bevor es verschwand und Monate später im Fluss treibend tot aufgefunden wurde. Doch das will der Mann, mit dem die Figur Móric Scharf im Duett singt, nicht wissen und zwingt ihn immer wieder, die Variante der Geschichte zu wiederholen, die den antisemitischen Politikern genehm war: die Legende vom Ritualmord. Die Musik zu diesem Kampf hat der Komponist Reinhard Hoffmann geschrieben. Und so kämpft sich Móric durch an jüdischen Gebetsgesang angelehnte Lieder, bis seine Psyche bricht. Den Ort des Geschehens hat Németh in ein zeitgenössisches Büro verlegt. Die Angestellten im Raum stimmen einhellig den Chorgesang an und bekräftigen ein ums andere Mal die falsche Aussage. Konzentriert auf diesen Dialog, wird die Wiedergabe der historisch belegten Geschichte, die nur exemplarisch für antisemitische Agitationsfälle im Ungarn des späten 19. Jahrhunderts steht, zur Darstellung einer Methode, die auf heutige Praktiken verweist. (Bis 8. 12., Di.–Sa., 11–18 Uhr, Invaliden1 Galerie, Schönleinstr. 25)

 Um menschenverachtende Strukturen geht es auch in dem experimentellen Hörspiel von Frank Bretschneider, Moritz Rappard und Thomas Ritschel (Hörspielmacher). Und auch die Präsenz respektive die Abstinenz von Worten spielt eine wichtige Rolle. Für „Hörgang Bautzen II – Mit dem Ohr durch die Wand“ haben die drei Produzenten mit ehemaligen Insassen der Stasi-Sonderhaftanstalt gesprochen. Es sind Regimekritiker, Republikflüchtlinge oder Fluchthelfer, die überwiegend eine jahrelange Einzelhaft erdulden mussten. Ohne Sichtkontakt zu anderen waren es vor allem die Geräusche, an denen sich die Gefangenen zu orientieren versuchten, um den Wahnsinn in der Isolationshaft zu verhindern. „Hörgang Bautzen II“ versucht, den ehemaligen Geräuschen, die von außen und innen auf die Inhaftierten einwirkten, und deren Einflüssen nachzuspüren. Ein spannendes Experiment. (So., 4. 11., 20 Uhr, frannz Club, Schönhauser Allee 36; Ursendung auf Deutschlandradio Kultur, Fr., 9. 11., 0.05 Uhr)