Kurzkritik: Jens Fischer über „1984“ am Stadttheater Bremerhaven
: Ein Untergangs-Dauerbrenner

Orwells „1984“ – diese Abrechnung mit europäischem Imperialismus, Faschismus und Kommunismus scheint ein ewig junge Bestseller. Als publik wurde, dass die NSA weltweit Telefonate und Online-Kommunikation kontrolliert, avancierte die Dystopie des bürokratischen Totalitarismus zum Verkaufsschlager. Nachdem Trumps Populismus mit alternativen Fakten triumphierte, mussten Neuauflagen gedruckt werden.

Frisch dramatisiert wird „1984“ nun im Stadttheater Bremerhaven in griesegraues Nachkriegsdesign und existenzialistisches Schwarz getaucht. Als Leuchtreklame funkelt über dem Geschehen „Wir haben nichts zu verbergen“, das Mantra der naiven Freunde von Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und exhibitionistischer Fütterung sozialer Netzwerke. Orwells Themen klingen in einer Stimmkonzert-Ouvertüre an. Der Plot wird in betulichem Tempo nachbuchstabiert. Beliebte Zitate kommen ordnungsgemäß zu Gehör.

Lässig hineinassoziiert in den Textfluss sind Stichworte der Mediengegenwart. So wird die „Neusprech“-Debatte als Kritik am Stummeldeutsch der Twitterer genutzt. Erkenntnishell ist das Saallicht angeknipst, wenn geradezu revolutionäre Vorträge gegen ein Prozent der Menschheit gehalten werden, die die Hälfte des Weltvermögens besitze. Sehr geschickt wechselt Regisseur Thomas Oliver Niehaus zwischen der Erzählperspektive des Romans und der Ich-Perspektive der Hauptfigur Winston (Henning Bäcker). Der in seinem Hass auf die allmächtige Einheitspartei nicht nur als Widerstandskämpfer, sondern auch als potenzieller Selbstmordattentäter kenntlich ist. Schöne, schlaue Worte werden so in diskursiver Atmosphäre dargeboten.

Literaturtheater, denn szenisches Spiel findet nur angedeutet statt. Obwohl Patrick Schimanski extra ein „1984“-Konzeptalbum für die Aufführung produziert hat, werden daraus lediglich Klangakzente auf die Textmassen getupft.

Der Abend taugt prima für die Erstbegegnung mit dem Stoff und zeigt, dass sich seine politischen Implikationen eher gegen Diktaturen alter Schule richten. Wie auf Facebook und Co. Überwachung und Freiheit der Kommunikation eins geworden sind, erzählt Dave Eggers „The circle“ anschaulicher. Dass Menschen besser durch Vergnügungen statt Folter zu kontrollieren, Wahrheiten einfacher in einem Meer der Belanglosigkeiten zu versenken, als in Hirnen zu löschen sind, erzählt Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ plastischer. „1984“ aber bleibt Chiffre für die Abschaffung der Privatsphäre.

Wieder am: 18. und 29. 11. um jeweils 19.30 Uhr, im Stadttheater Bremerhaven