meinungsstark
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In der „Ordnungszelle Bayern“

„Münchner Räterepublik: Turbulente Tage“, taz vom 18./19. 11. 17

Vielen Dank für die schöne Besprechung des Buchs von Ralf Höller zur Revolution in München. Lassen Sie mich etwas zu dem beigefügten Foto ergänzen. Der auffällige Mann auf dem Trittbrett von Kurt Eisners Wagen ist Felix Fechenbach. Fechenbach, im Jahr 1894 in Bad Mergentheim geboren, war Gewerkschafter und Sozialdemokrat, er verehrte Eisner und wurde sein persönlicher Sekretär.

Im Jahr 1922 wurde er von einem bayerischen Gericht wegen Landesverrats zu einer Zuchthausstrafe von 11 Jahren verurteilt. Die Urteilsbegründung war absurd, das Gericht hätte es gemäß der Reichsverfassung nicht mehr geben dürfen, aber als Jude und Sozialdemokrat bediente Fechenbach in der „Ordnungszelle Bayern“ den Mythos der Dolchstoßlegende. Nach einer Kampagne linksliberaler Juristen wurde er nach zwei Jahren aus dem Zuchthaus entlassen, am selben Tag wie der wegen Hochverrats inhaftierte Adolf Hitler. Fechenbach ging 1929 nach Detmold, um die im Kleinstaat Lippe erscheinende sozialdemokratische Tageszeitung Volksblatt zu leiten. Nach dem Wahlsieg der NSDAP bei den dortigen Landtagswahlen im Januar 1933 – zwei Wochen vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler – wurde Fechenbach in „Schutzhaft“ genommen und am 7. August 1933 bei der Überführung in das KZ ­Dachau getötet. Die Tat wurde in zwei Prozessen der Nachkriegszeit als Mord bewertet, allerdings ohne Mörder: Ein Tatbeteiligter war unauffindbar, einer wurde freigesprochen, zwei erhielten Haftstrafen von mehreren Jahren, die sie aber mehr ihrem Vorstrafenregister als der Mordtat verdankten. An Felix Fechenbach wird in Detmold regelmäßig erinnert. Andreas Ruppert, Paderborn

Wiedergutmachung der Schuld

„Die Falschen gerettet“, taz vom 15. 11. 17

Es war im Herbst 2015 völlig richtig, syrischen Flüchtlingen, die unter elenden Bedingungen in türkischen Lagern lebten und dort weiter dem Druck syrischer Dschihadistenbanden ausgesetzt waren, die weitere Flucht nach Deutschland zu ermöglichen. Es tobte die Schlacht um Aleppo, wo sich Al-Qaida-nahe Kräfte im Ostteil der Stadt verschanzt hatten.

Eine von Redakteur Martin Reeh vorgeschlagene Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den umkämpften Stadtteilen nach Deutschland wäre damals wohl selbst beim besten Willen der Bundesregierung nicht möglich gewesen. Jetzt das Schicksal dieser Menschen gegen das derjenigen, denen rechtzeitig die Flucht aus Syrien in die Türkei und weiter nach Europa gelungen ist, aufzurechnen, erscheint mir mies.

Reeh suggeriert, dass die Lage der in die Türkei geflohenen Syrer ja nicht so schlimm war. Mit dem gleichen Zynismus hätte man den jetzt in Atareb bombardierten Menschen, die teilweise zuvor aus Aleppo geflohen waren, auch vorschlagen können, in Aleppo zu bleiben. Denn dort ist ja nach dem Abzug der dschihadistischen Kampfgruppen vor rund einem Jahr Ruhe eingekehrt.

Die von der der syrischen Opposition nahestehenden Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte genannten, durch unabhängige Beobachter aber nicht nachprüfbaren zivilen Opfer dieses Luftangriffs sind schrecklich – so schrecklich, wie alle zivilen Opfer dieses vom Ausland immer weiter angeheizten Krieges in Syrien. Der Luftangriff galt allerdings wohl – und das verschweigt die taz – einer Polizeistation in einer von der Dschihadistenmiliz Ahrar al-Scham kontrollierten Stadt. Wie zuvor in Aleppo nehmen solche Terrororganisationen jetzt dort die Zivilbevölkerung als Geiseln.

Solche Gruppierungen aus dem Umfeld der al-Qaida sollten nicht als „Rebellen“ oder „Oppositionelle“ verharmlost werden. Viel Elend wäre den Menschen in Aleppo und jetzt in Idlib oder Atareb erspart geblieben, wenn nicht Nato-Staaten und Golfmonarchien jahrelang diese Terrorsöldner aufgerüstet und unterstützt hätten.

Die Aufnahme und Unterstützung von syrischen Flüchtlingen kann nur wenig von der Schuld wiedergutmachen, die der Westen mit seiner Beteiligung an der Zerstörung Syriens auf sich geladen hat. Ulla Jelpke, Berlin