Erwachsener Abgang eines Vorturners

Fabian Hambüchen wird keinen Turnwettkampf mehr bestreiten. Der Reck-Olympiasieger verlässt die Podien als mündiger Athlet. Eine Würdigung

Raus aus dem Rampenlicht: Fabian Hambüchen fliegt nicht mehr Foto: reuters

Von Andreas Rüttenauer

Der Absprung ist vollendet. Fabian Hambüchen wird keine Wettkämpfe mehr bestreiten. Von den internationalen Podien hatte er sich schon vor einem Jahr verabschiedet. Das Finale der Turn-Bundesliga am Samstag in Ludwigsburg war nun sein wirklich allerletzter Wettkampf. Seine Riege von der Kunstturnvereinigung Obere Lahn wurde Dritte. Nach dem Abgang will er nun sein Sportstudium zu einem Ende bringen, auf Vorträgen klug daherreden und einfach nicht mehr ganz so viel Zeit auf der Matte verbringen wie eigentlich sein ganzes Leben bis dato.

Fabian Hambüchen, der in Rio de Janeiro 2016 mit der Goldmedaille am Reck eine Karriere gekrönt hat, die ihresgleichen sucht, geht als einer der bekanntesten Sportler Deutschlands in die Athletenrente. Für alle, die nachlesen wollen, wie er auf den verschiedenen Stationen seiner Laufbahn gefühlt hat, gibt es eine frische Autobiografie. In „Den Absprung wagen: Stürzen, aufstehen, siegen lernen“ soll man noch einmal hineinkriechen in den Turnerkopf Hambüchens. Es geht um die kindliche Freude, als ein 16-jähriger Bub die Nachricht erhält, dass er zu den Olympischen Spielen nach Athen fahren darf. Um die Hänseleien seiner Mitschüler, die ihm vorhalten, er würde einen „Schwuchtelsport“ betreiben. Um den schwierigen Kampf, Schulausbildung und Studium mit dem Training eines Hochleistungssportlers zu vereinen. Um das Verhältnis zu seinem Trainervater, dessen Härte auch der Sohn bisweilen brutal finden musste. Es ist ein erwachsenes Buch, das der nun 30-Jährige zum Karriereende vorlegt.

Alles andere als erwachsen war dagegen Hambüchens erste Autobiografie. Vor sieben Jahren ist die erschienen, und seitdem weiß die Welt zum Beispiel, wie Fabians Mutter ihren Sohn beim ersten Sex erwischt hat. Die Turner der deutschen Nationalmannschaft witzelten damals nicht nur hinter vorgehaltener Hand über die Enthüllungen eines Heranwachsenden. Die Bild-Zeitung jedenfalls präsentierte jede anzügliche Bemerkung in dem Buch mit riesigen Lettern. Hambüchen drohte in die Promifalle zu stolpern.

Darüber wäre beinahe in Vergessenheit geraten, warum er eigentlich so prominent geworden ist. Am Reck hat er olympisches Bronze, Silber und Gold gewonnen. Er war Weltmeister und hat sechs Mal Gold bei Europameisterschaften gewonnen. Insgesamt wurden ihm 23 internationale Medaillen umgehängt. Dass er dabei immer auch versucht hat, ein Leben neben der Karriere zu führen, auch das zeichnet ihn aus. Er gehört nicht zu den Polizei- und Bundeswehrsportlern, denen der Rücken freigehalten wird, auf dass sie für ihre Heimat Medaillen gewinnen. Vielleicht ist er deswegen zu dem Freigeist geworden, als der er sich bei den Spielen in Rio 2016 präsentiert hat.

Bei Olympia in Rio hat sich Hambüchen beinahe schon als Freigeist präsentiert

Da meckerte er über den laxen Umgang des IOC mit der Dopingnation Russland, er beschwerte sich über die IOC-Kommissare, die vor dem Wettkampf am Turnanzug noch mal nachmessen, ob das Ausrüsterlogo nicht doch zu groß ist. Und er moserte über die Funktionäre des Deutschen Olympischen Sportbunds, die Abmahnungen verschicken, wenn ein Athlet mal in Privatklamotten das olympische Dorf verlässt. In die Diskussion um eine Spitzensportreform mischt er sich lauthals ein und bezeichnet die Idee, Leitungssportler nur an zentralen Trainingsorten üben zu lassen, als „größten Scheiß“.

Fabian Hambüchen verlässt die Turnhallen als mündiger Sportler. Gut möglich, dass wir in Zukunft noch von ihm hören werden. Man darf gespannt sein.