Ein sympathischer Lese-Abend

Ihr Übersetzer Tobias Schwartz feierte mit Antje Rávic Strubel,Jan Peter Bremer und Jörg Sundermeier Virginia Woolf im LCB

Virginia Woolf 1929 Foto: United Archives/picture alliance

Von René Hamann

Es ist viel zu weit draußen. Erstaunlich genug, dass sich immer wieder Menschen auf den langen, beschwerlichen Weg hinaus zum Wannsee machen, sogar im Winter, um sich Literaturabende am Literarischen Colloquium Berlin, kurz LCB, zu geben. Seit 1963 gibt es diese Instanz schon, und noch immer findet sich, wer sich in der fernen Stadt für Literatur interessiert, gern hier ein. Am liebsten freilich im Sommer, wenn man auf der Wiese sitzen und auf den fassbrausenbraunen Wannsee schauen kann, während eines dieser Sommerfeste der unterschiedlichsten Verlage, wobei im Hintergrund leise die unverständlichen Sätze hoher Prosa oder niederer Lyrik durch die Lautsprecher wabern.

Aber anscheinend ist das LCB auch im Winter ein gut besuchter Wallfahrtsort, wenn reihum die kleinen und die großen, die wichtigen und die nicht so wichtigen Bücher aus den Programmen der kleinen und großen Verlage vorgestellt werden. Dann reist man sogar gern mit der S-Bahn an, die lange Wege durch den dunklen Stadtrand unternimmt, oder man parkt praktischerweise seinen Mittelklassewagen gleich neben den anderen Mittelklassenwagen vorne im Hof.

An diesem kalten Montagabend, einen Tag nach dem 1. Advent, stand Virgina Woolf auf dem Programm. Nicht die echte freilich, auch nicht die, vor der niemand mehr Angst hat, sondern ein fleißiger Übersetzer ihres wohl einzigen Theaterstücks, der, um den Abend zu etwas Besonderem zu machen, befreundete Verleger und Autorinnen hinzugebeten hat, um sein eigenes, rahmendes Stück „Bloomsbury“ und zwei Akte aus ebenjener Woolf’schen Komödie „Freshwater“ vorzutragen.

Um es gleich zu sagen: Alle Beteiligten haben sich tüchtig ins Zeug gelegt, die Autoren und Verlegerinnen haben gezeigt, dass sie nicht minder gut vortragen können als irgendwelche Schauspieler, und das Publikum in dem gut besetzten Lesesaal hat an den richtigen Stellen gegiggelt und sich im Wesentlichen gut amüsiert. Ein schöner Abend.

Gut, Tobias Schwartz, der Übersetzer, und die hinzugezogenen Antje Rávic Strubel, Jan Peter Bremer, Alina Herbing, Britta Jürgs und Jörg Sundermeier sind nicht eben die Protagonisten des Nouveau Roman oder des Absurden Theaters, wie es Eugène Ionesco, Alain Robbe-Grillet und Nathalie Sarraute bei ihrer Aufführung des Stücks 1982 in Paris waren. Aber tatsächlich: Gelesen wurde fehlerfrei und sogar mit schauspielerischer Akzentuierung; Schwartz’eigenes Stück bildete eine gute Einführung in Zeitläufte und Umstände; und das Stück von Woolf, das sie nach ihrem Domizil auf der Isle of Wight benannt hatte, konnte dank des Vortrags als das Kleinod aus dem Fundus der englischen Literatur glänzen, das es wohl ist. Schwartz’ Übersetzung ist denn auch tatsächlich die erste Veröffentlichung des Stücks im Deutschen.

Gelesen wurde fehlerfrei undsogar mit schauspielerischer Akzentuierung

Es geht um eine junge, falsch verheiratete Schauspielerin, die ihrem Ehemann, einem alten Maler, stundenlang Modell sitzen muss; einem Soldaten, der über sie hinwegspringt; einem alten Dichter, der Reime aus dem letzten Jahrhundert als neue verkauft usw. Im Grunde geht es um eine Menge selbstbezüglichen Blödsinn der berüchtigten Bloomsbury-Gruppe mit einem Humor, der mittlerweile eher tantenhaft wirkt: eine Fingerübung zum Vergnügen.

Wer möchte, kann sich das Buch – erweitert u. a. durch ein Essay ebenfalls in der Erstübersetzung – besorgen, erschienen ist es im verdienten Aviva Verlag, der bekanntermaßen ein Händchen für lange Vergessenes hat.

Ansonsten bleibt festzuhalten: Es gibt Schriftsteller, die Hüte tragen, und andere, die keine Hüte tragen brauchen. Es gibt Übersetzer, die sich erst beim Schlussapplaus trauen, eine Eselsmaske überzuziehen. Es gibt Verleger, die keine Party auslassen. Und es gibt sicherlich größere Werke der englischen Moderne. Der Abend stand unter dem Motto „Auf Wiedervorlage: Virginia Woolf“, hätte aber auch „Gegen das Vergessen: Virginia Woolf“ oder irgendwas mit Angst, die man vor der Autorin schon längst nicht mehr hat, heißen können. Anyway. Insgesamt ein sehr sympathischer Abend.