Raum ohne Kontrolle

Die Werke des Künstlers Reinhold Budde kunsthistorisch einzuordenen, ist fast unmöglich. Auch seine Arbeitsweise befindet sich in einem „Dazwischen“, er ist weder Maler noch Bildhauer. Der Kunstverein Bremerhaven zeigt jetzt seine Ausstellung „Plattform“

Hält das? Das Ausstellungsstück, die Plattform, kann der Besucher des Kunstvereins gern betreten, wenn er sich traut Foto: Kunstverein Bremerhaven

VonRadek Krolczyk

Kunst gibt es bei Reinhold Budde erst dann, wenn es auch einen Raum gibt. Das ist eine Grundbedingung. Seine Arbeiten sind stets raumbezogen. Er arbeitet mit spezifischen Eigenschaften der Orte, an denen er „ausstellt“, wenn man das überhaupt so nennen darf.

Denn Budde bringt nur äußerst selten fertige Werke aus dem Atelier in die Museen und Kunstvereine. Wobei es die auch gibt: Seit einigen Jahren fertigt er etwa auf Aluverbundplatten monochrome Bilderserien. Eine solche Farbfeldreihe ist nun auch in seiner aktuellen Ausstellung im Bremerhavener Kunstverein zu sehen. Die Werke sind so schön, dass sie gleich kommensurabel werden: Man kann sie aus der Ausstellung heraus kaufen.

Schwieriger zu erwerben, jedoch viel prägnanter in seinem Werk, sind Projekte, für die er seine Materialien aus dem Baumarkt oder dem Gartencenter holt. Es sind universelle und scheinbar neutrale Dinge wie Farben, Holzlatten, Alustangen, Profilleisten oder Kunstrasen. Damit kommentiert und manipuliert Budde seine Räume – zuletzt in der Bremer Weserburg und im Essener Kunstverein.

Und so arbeitet er auch in Bremerhaven. Der Titel seiner Einzelausstellung heißt dort „Plattform“. Im Hauptsaal des Kunstvereins befindet sich ein recht charakteristisches Konstrukt, das man „Plattform“, aber auch „Podest“ oder „Empore“ nennen könnte. Dieser Einbau des in den 60er-Jahren eröffneten Kunstvereins macht zum einen den Ausstellungsraum unverwechselbar, zum anderen nimmt er aber auch eine stilistische und historische Markierung vor. Dieser Raum ist kein neutraler White Cube, in dem man ein Werk unterbringen könnte, ohne dass es verfärbt würde. Budde also okkupiert den 60er-Jahre-Raum. Eine bauliche Besonderheit der Empore ist, dass sie freischwebend ist. Sie wird von der dahinterliegenden Wand getragen. Nun hat Budde einige dünne Säulen daruntergebaut.

Das klingt banal und tatsächlich gibt es gar nicht so viel zu sehen als zu fühlen. Denn diese Säulen fühlen sich nicht richtig an. Sie geben vor, eine Ebene zu tragen, die sie einfach nicht tragen könnten. Das ist nicht überprüfbar, aber intuitiv schaut man besorgt auf diese Konstruktion. Wenn man sich nach oben getraut hat, sieht man, dass der Boden der Empore mit Spiegelplatten ausgelegt wurde. Darin sieht man sich selbst, darüber dann die mit Holzstreben strukturierte Decke. Alles gerät ins Wanken. Statt die Übersicht zu gewinnen, verliert man oben die Kontrolle.

In vielen seiner früheren Installationen ging er auf ähnliche Weise vor: Er wiederholt malerisch Säulen oder Fenstersimse. Oder er deutet räumliche Entwicklungen an, wo keine sind, also Anbauten oder Durchgänge. Die Eingriffe, die er hier vornimmt, sind oftmals minimal und kaum spürbar.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass man eine Ausstellung von Reinhold Budde besucht und seine Setzungen übersieht, oder nicht bewusst registriert. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob man die Farbflächen, die er an den Wänden oder Decken aufträgt, als Teil einer künstlerischen Ausführung begreift oder nicht. Unbewusst entfalten sie ohne Frage eine starke Wirkung. So bewusst und präzise werden sie von Budde gesetzt.

Wenn man sich nach oben getraut hat, sieht man, dass der Boden der Empore mit Spiegelplatten ausgelegt wurde

So ist das nun mal mit Bauten und Räumen, sie wirken sich ganz direkt physisch auf die Menschen aus, die sich darin aufhalten. Tatsächlich gibt es ja ganze Industriezweige, die sich mit der Wirkung von Teppichfarbe und Wandbortenhöhen auf das Gemüt beschäftigen.

Budde hat in den 70er-Jahren in Hamburg Design studiert, bevor er sich in den 90ern in Barcelona dem Studium der Malerei widmete. Der Kunstkritiker Joachim Kreibohm siedelt Buddes Werk nicht ohne Grund in seiner Einführungsrede in einem „Dazwischen“ an. Das gilt ihm zufolge auch für eine kunsthistorische Einordnung: Weder entsprechen Buddes Arbeiten jener puristischen Farbfeldmalerei der 60er Jahre, noch ist er ein Vertreter jener zeitgenössischer Künstler, die sich um Kontexte und Interaktion bemühen. Anteile beider Bewegungen sind jedoch in seinem Werk enthalten.

„Dazwischen“ liegt auch Buddes Arbeitsweise. Er ist sowohl Maler, als auch Bildhauer und das nicht, weil er beidem nachgeht. Denn seine malerischen Eingriffe sind bildhauerisch – und umgekehrt.

Die Ausstellung „Plattform“ ist bis zum 31. 12. zu sehen

Der Autor ist Inhaber der Galerie K̕in Bremen