Mit einem Schlag setze ich nach

Ripkicks, Liegestütze, Schweiß: Der Berliner Kampfsportverein Lowkick will Frauen stärken. Unsere Autorinnen haben dort trainiert

„Das Projekt wird von der Liebe zu Frauen getragen“

Claudia Fingerhuth, Trainerin des Kampfsportvereins Lowkick

Von Irene Allerborn
und Mandy Pohl

Ein fremder Fuß bohrt sich in meinen Bauch. Plötzlich bleibt mir die Luft weg. Ein Frontkick schafft es, dass ich meine Umwelt für einen Moment ausblende. Ich reiße mich zusammen und setze mit einem Schlag nach. Um mich herum sind lauter Frauen, die konzentriert aufeinander einschlagen. Sie alle kommen an diesem Freitagabend zusammen, um im Kampfsportverein „Lowkick“ zu trainieren – Mandy, mit der ich hier bin, trainiert drüben in einem anderen Raum. Schienbeinschoner, Boxhandschuhe und Mundschutz: Voll ausgestattet schwitzen wir um die Wette.

Irene befindet sich im Kursraum nebenan, während ich mit rund 25 Frauen kreuz und quer durch einen Raum renne. Ich bin außer Atem und frage mich, wie hart die nächsten eineinhalb Stunden wohl sein werden. Die Trainerin steht am Rand, „und jetzt die Oberschenkel beim Laufen soweit wie möglich nach oben ziehen!“ In der nächsten Einheit soll man sich gegenseitig schubsen. Meine Partnerin ist sehr zierlich. Als ich sie in die Richtung der Wand dränge, bohrt sich ihr Beckenknochen in meine Hand.

„Wir haben in den Achtzigern festgestellt, dass der Breitensport sexistisch ist“, sagt Claudia Fingerhuth, die Trainerin und Mitbegründerin von „Lowkick“ – 54 ist sie, trägt kurze Haare zum drahtigen, sportlichen Körper. Erst ab 1995 durften Frauen legal boxen. Bis dahin akzeptierte der Deutsche Amateur-Box-Verband sie nicht in seinen Reihen. „Als Reaktion darauf“, sagt Fingerhuth, „entstanden Sportvereine exklusiv für Frauen.“ Alles haben die Frauen in Eigenregie gemacht, von der Gestaltung der Sportsäle bis zum bürokratischen Akt der Vereinsanmeldung. Was mit 60 Frauen begann, ist auf ein Team von 500 Frauen angewachsen.

Jetzt landet eine rechte Faust auf meiner Stirn. Die Faust gehört zu Antonia. Sie ist Anfang zwanzig und seit einigen Wochen dabei. „Nach dem Training werden deine Hände gut stinken. Die Boxhandschuhe sind nämlich viel in Gebrauch“, sagt sie und mein Fuß landet zögerlich in ihrer Magengegend. Antonia erzählt, dass sie seit längerer Zeit einen Kampfsport ausprobieren wollte, sich aber nicht getraut hat. „Dass ,Lowkick‘ politisch ist, hat mir gefallen. Ein reiner Frauenclub war mir wichtig, um mich während des Trainings frei zu bewegen.“

„Das Projekt wird von der Liebe zu Frauen getragen“, sagt Trainerin Claudia Fingerhuth, sie will Frauen stärken. Allzu oft würden sich diese in Anwesenheit von Männern anders verhalten. Wir wollen keine ‚Ers‘ bei uns. Den Raum definieren wir.“ Trans*männer und Queere dürfen bei „Lowkick“ nicht mittrainieren. Und dass dieses Konzept oft auf Kritik aus der feministischen Szene stößt, erklärt Claudia Fingerhuth, stört sie nicht. „Wir agieren gegen den Szene-mainstream. Aber wir denken, es gibt doch Räume für alle!“

Die Fenster sind von innen beschlagen und es stinkt nach Schweiß. „Durch das Training habe ich auch gemerkt, dass ich nicht aus Zucker bin.“ Antonia lächelt – und ich spanne die Muskeln bei den Tritten in meine Magengrube an.

Endspurt, 20 Ripkicks, 30 Liegestütze. Die Musik stoppt, dann ist es vorbei. Ich werfe meine Boxhandschuhe auf den ausgeblichenen Mattenboden und bin erleichtert zu sehen, dass ich nicht die einzige bin, die außer Atem ist. Mein Kopf pocht, aber ich bin euphorisch.

Lautes Ausatmen hallt durch den Raum. Ich lasse mich fallen, schaue an die Decke des Raums und dehne meine Beine.