Premiers-Clan verdient Milliarden

CHINA Die Familie von Premierminister Wen Jiabao häufte laut einem Bericht ein Vermögen von 2,7 Milliarden Dollar an. Peking lässt Bericht zensieren

„Viele Verwandte Wen Jiabaos sind während seiner Amtszeit sehr, sehr reich geworden“

AUS PEKING FELIX LEE

Chinas Premierminister Wen Jiabao gibt sich gern bescheiden. Er sei ein Mann aus „armen Verhältnissen“. Sein Vater habe noch Schweine gehütet, seine Mutter Hunger gelitten. Diese Zeiten sind für Wens inzwischen 90-jährige Mutter lange vorbei. Allein die Summe einer Investition vor fünf Jahren unter ihrem Namen soll rund 120 Millionen Dollar betragen haben.

Das zumindest berichtet die New York Times (NYT). Sie hat errechnet, dass die Familie des scheidenden Premiers ein Vermögen von rund 2,7 Milliarden Dollar angehäuft hat. „Viele Verwandte von Wen Jiabao, darunter sein Sohn, seine Tochter, sein jüngerer Bruder und sein Schwager, sind während seiner Amtszeit sehr, sehr reich geworden“, schreibt die Zeitung. In einer intensiven Recherche hat sie Unternehmensdaten zusammengetragen, die sich zum großen Teil auch aus offiziellen Angaben speisen.

Die US-Zeitung betont, dass sich etwa 80 Prozent des Vermögens in den Händen von entfernteren Verwandten befinden, also nicht von Wens Frau oder seinen beiden Kindern. Deswegen müsse dieser Teil des Vermögens gegenüber der Kommunistischen Partei auch nicht offengelegt werden, wie es das Parteistatut vorsieht.

Chinas Zensurbehörden hielten den Bericht dennoch für so heikel, dass sie die NYT-Webseite am Freitag in China prompt blockierten. Seit einigen Monaten erscheint sie im Internet auch auf Chinesisch. Als die Nachrichtenagentur Bloomberg im Sommer über das Vermögen der Familie des designierten Partei- und Staatschefs Xi Jinping berichtete, schlug die Zensurbehörde ebenfalls zu. Bloomberg ist bis heute in China blockiert.

Dennoch schlug der Bericht über die Familie Wen auch jetzt in China hohe Wellen – zumindest im Internet. „Alles Verbrecher an der Spitze“, kommentierte ein Nutzer auf dem Kurznachrichtendienst Sina Weibo. Nutzer haben den Artikel abfotografiert und über Sina Weibo verbreitet. Auf diese Weise versagt die Stichwortsuche der Zensurbehörden.

Premier Wen selbst wird in dem NYT-Artikel zwar kein nennenswertes Vermögen nachgewiesen. Aber auch die 20 Prozent seiner Frau, Zhang Beili, und seiner beiden Kinder haben es in sich. In China ist seit langem bekannt, dass Wens Frau sehr reich ist. Zhang war lange Zeit Vizepräsidentin der staatlich kontrollierten Juweliervereinigung, die als Einzige das Recht hatte, mit Gold zu handeln. Später wurde sie Chefin der größten Juwelierkette des Landes. Aus den durchgesickerten Botschaftsdepeschen des US-Außenministeriums geht hervor, dass Wen „angeekelt“ war, wie sich Zhang mithilfe seines Namens Vorteile beim Diamantenhandel verschafft habe. Wen habe ernsthaft an Scheidung gedacht.

Die jüngsten Enthüllungen dürften für noch mehr Unruhe vor dem am 8. November beginnenden 18. Parteitag sorgen, bei dem ein seit langem vorbereiteter Führungswechsel ansteht. Bereits der Skandal um den inzwischen entmachteten Spitzenpolitiker Bo Xilai hatte in den vergangenen Monaten Chinas KP in eine schwere Führungskrise gestürzt. Bo wird Korruption und Selbstbereicherung vorgeworfen. Seine Frau wurde wegen Mordes an einen britischen Geschäftsmann bereits zum Tode verurteilt. Bo selbst wurde am Freitag die Immunität entzogen. Einer Klage steht nun nichts mehr im Weg.

Die Reichtümer der Familien von Wen, Xi und Bo sind keineswegs Ausnahmen. Die reichsten 70 Delegierten des Volkskongresses sollen mittlerweise über Vermögen von insgesamt 90 Milliarden Dollar verfügen.