taz-Thema der Woche

Emanzipation mit Studiengebühren?

■ betr.: „Karl Marx hatte recht“, taz vom 25. 10. 12

Studiengebühren bedeuten erstens alles andere als ein emanzipatorisches Projekt, weil sie nicht wenige Studierende dazu zwingen, sich hoch zu verschulden oder nebenbei zu jobben.

Und zweitens funktioniert die Devise „Geld gegen Mitbestimmung“ nicht, weil es an deutschen Hochschulen keine flachen Hierarchien gibt. Deswegen ergibt die Abschaffung der Gebühren nicht nur aus ideologischer Sicht einen Sinn. Die skandinavischen Länder beweisen, dass man Bildungsgerechtigkeit immer noch am besten über eine solidarische Steuerfinanzierung herstellen kann!

RASMUS PH. HELT, Hamburg

■ betr.: „Karl Marx hatte recht“, taz vom 25. 10. 12

Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn Christian Füller den Opern und Theatern die Subventionen streichen will! Schließlich müssen arme, ungewaschene, in Lumpen gehüllte hungrige Bergarbeiterkinder diese Glitzerpaläste der Reichen in ihren Fracks und Monokeln, Perlenketten und Diamantenarmbändern finanzieren – so geht’s ja nicht!

Harvard, Cambridge und die privaten MBA-Unis müssten von „Arbeiterkindern“ nur so strotzen, tun sie meines Wissens aber nicht, trotz Stipendien. Es ist bedauerlich, dass die taz keinen niveauvolleren Bildungsjournalismus bietet. Oliver Twist, taz.de

■ betr.: „Karl Marx hatte recht“, taz vom 25. 10. 12

In Großbritannien wurden am Beginn dieses Universitätsjahres ein deutliches Absinken der Studierendenbewerbungen an den Hochschulen in England im Vergleich zu Wales, Schottland und Nordirland gemessen, nachdem in England die Studiengebühren auf 9.000 Pfund angehoben wurden. Auch vermag nicht zu überzeugen, warum statt der Belastung während des Studiums durch Studiengebühren nicht eine Akademiker/-innen-Abgabe den Effekt zeitigen könnte, die Vorteile des Studiums pekuniär abzugreifen und den Hochschulen zur Verfügung zu stellen. Dies könnte dann für staatliche wie auch für private Hochschulen gelten, und warum nicht über diese Mittel Studierende wie andere Gruppen der Hochschule tatsächlich entscheiden lassen?! BENJAMIN-IMMANUEL HOFF, taz.de

■ betr.: „Karl Marx hatte recht“, taz vom 25. 10. 12

Nach ein paar schlaflosen Nächten – gestern ein Hoffnungsschimmer: Die Nachrichten melden, die Studiengebühr sei kurz vor dem Kippen. Große Erleichterung. Endlich Entlastung. Kommen Sie mir nicht mit Marx, oder dem, was Sie für ihn halten in ihrer schwarz-weiß gemalten Welt. Denn es gibt nicht nur die „soziale Herkunftsgruppe niedrig und hoch“, die „Ärzte, Anwälte und Redakteurskinder“ auf der einen Seite und die „benachteiligten Arbeiterkinder aus Ruhrgebietsschulen“! Was ist mit der alleinerziehenden Akademikerin (Beamtin), deren beide, in München studierende Kinder dort für ihre WG-Zimmer bis zu 500 Euro Miete bezahlen müssen? Von den hohen Kosten für U-Bahn, Lebensunterhalt und Studienmaterialien ganz zu schweigen.

Die hart umkämpften Nebenjobs für 7 Euro die Stunde vermögen das so gerade eben zu decken. Und dann kommt zu Semesterbeginn der Hammer: Die Studiengebühr. Natürlich wird diese die Studierneigung ihrer Kinder nicht bremsen, aber sie macht es ihnen verdammt schwer.

Diejenigen, die „Papis Kohle lieber in Skiurlaube statt in die Campus-Maut stecken“, gibt es nicht, die machen sowieso beides. Und sie haben so einen ungeheuren Wettbewerbsvorteil während ihres Studiums: Zeit. Studenten aus der Herkunftsgruppe „dazwischen“, die es bereits ohne die in Bayern obligatorischen, schulbegleitenden Nachhilfestunden zum Abitur geschafft haben, erfahren durch die Studiengebühr, dass es das Privileg von wenigen ist, den Kopf fürs Studium frei zu haben. Um das zu ändern, sollte man darüber nachdenken, wie das von Marx benannte Problem sozialverträglich zu lösen ist, zum Beispiel darüber, wie das von ihm zitierte „allgemeine Steuersäckel“ besser zu befüllen wäre. ANJA TIEMANN, Geretsried

■ betr.: „Karl Marx hatte recht“, taz vom 25. 10. 12

Natürlich ist auch das dreigliedrige Schulsystem eine Hürde und gehört abgeschafft. Aber warum statt der Abschaffung einer Hürde die nächste einführen? Unis sind heute nicht mehr ein Spielplatz für die oberen Zehntausend, dessen Kosten man vom Großbürgertum auch privat eintreiben könnte. Uni-Abschlüsse sind heute ein Standard für viele Berufe, die noch in den 60er und 70er Jahren per Ausbildung und Quereinstieg zugänglich waren.

Ein Großteil der Angestellten von heute hat Abitur, viele haben irgendwann mal studiert, und die Angestelltenkinder bevölkern die Unis. ArbeiterInnenkinder sind leider die Minderheit. Doch auch Angestellte sind und waren schon immer LohnarbeiterInnen – das obere Segment, aber weit entfernt vom Großbürgertum. Gerecht wäre, dafür zu sorgen, dass mit mehr Bafög, neuen Zugangsmodellen, mehr Studienplätzen, mehr Tutorien für uniferne Leute und Quereinsteigerinnen, einer Abschaffung des Gymnasiums und völliger Gebührenfreiheit die Unis endlich kein Reservat mehr sind.

RALF HOFFROGGE, Berlin

■ betr.: „Das Auslaufmodell“, taz vom 25. 10. 12

Mein Mann war der Erste aus seiner Familie, der ein Studium aufnehmen wollte.

Seine Mutter, eine Zahnarzthelferin, und seine Großeltern, Bauern, konnten sich unter einem Studium absolut nichts vorstellen und übten Druck aus, doch etwas Handwerkliches zu lernen. Studiengebühren, die sie hätten bezahlen müssen, wären sicher eine gute Argumentationshilfe gewesen, ihren Willen durchzusetzen.

Wenn verhindert werden soll, dass Menschen für ein Studium zahlen, deren Kinder davon ausgeschlossen werden, sollte das nicht auf Kosten der wenigen Nichtakademiker geschehen, die ihre Kinder an die Uni bringen und gerne dafür zahlen wollen, es aber nicht können, weil sie zu wenig verdienen. Es gibt für Kinder von Geringverdienern immer noch keine Finanzierungshilfen, die verhindern, dass sie mit 15.000 Euro Schulden (BAföG und Studienkredit) in den Beruf starten. TASCHA, taz.de

■ betr.: „Karl Marx hatte recht“, taz vom 25. 10. 12

Studiengebühren sind ein Ausschlusskriterium. Chile ist eines der eindrucksvollsten Beispiele wie Bildung, die aus privaten Haushalten finanziert wird, zur sozialen Exklusion führt. An die Universität schaffen es nur die Kinder aus einkommensstarken Familien, finanziert wird die Hochschule zu über 70 Prozent aus den Gebühren der Privathaushalte. Das privatisierte Bildungssystem verwehrt nicht nur den Kindern der Ärmsten den Zugang zur höheren Bildung, auch die Mittelschicht, kann sich die Gebühren kaum leisten.

Es ist sehr wohl zutreffend, dass vor allem unser gegliedertes Bildungssystem Arbeiterkindern, den Weg an die Uni verbaut. Daran müssen wir etwas ändern. Das Einhalten der UN-Konvention für ein inklusives Bildungssystem wäre ein erster Schritt. Gemeinschaftsschulen, fördern statt selektieren, sind weitere Schritte.

In einem Sozialstaat müssen Schule, Ausbildung und Studium kostenfrei sein. Finanziert werden könnte das, da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, durch die Besserverdiener des Landes. Umverteilung wäre die Devise. Reichtum, Erbschaft, spekulative Bankgeschäfte und extreme Einkommen müssten dafür höher besteuert werden. Damit können dann Schulen genauso wie Universitäten, Kindertagesstätten und Jugendförderprogramme finanziert werden.

Karl Marx könnte auch weiterhin Recht behalten. Die Bildung der höheren Klassen, würde weiterhin aus dem Steuersäckel finanziert werden, doch dieses Säckel würde besser gefüllt werden und die höheren Klassen einen gerechten Anteil tragen.

STEVE KENNER, Groß Kreutz

■ betr.: „Karl Marx hatte doch recht“, taz vom 25. 10. 12

Sicher ist es richtig, dass eine soziale Selektion schon weit vor der Uni beginnt. Aus meiner Erfahrung als Lehrender an einer Uni kann ich aber berichten, dass die wenigen sozial nicht Privilegierten, die es dann einmal zum Studium geschafft haben, durch die Gebühren einem finanziellen Druck ausgesetzt werden, der das Studium auf Dauer kaum möglich macht. Denn von diesen müssen viele ihr Studium doch selbst finanzieren.

Wer aber den halben Tag in der Uni verbringen und die restliche Zeit im Supermarkt an der Kasse, in Kneipen, Bekleidungsgeschäften usw. malochen muss, um über die Runden zu kommen, kann das Studium nicht in der vorgesehenen Zeit schaffen – und dann hört das BAföG auf, wenn es überhaupt welches gab. Bei 7 Euro Stundenlohn sind 500 Euro schon wirklich viel Geld. Es gibt viele solche Fälle, bei denen die KandidatInnen immer am Rande des Zusammenbruchs arbeiten, während die besser Gestellten fröhlich Auslandssemester einlegen und Kontakte knüpfen. Es gab Fälle von Unfällen während Abschlussarbeiten, bei denen die KandidatInnen nicht versichert waren, weil sie sich offiziell zum Urlaubssemester gemeldet hatten, um die Gebühr zu sparen. Sonst hätten sie arbeiten müssen, was neben der Abschlussarbeit nicht drin war. Die Liste ist lang.

Das Problem, dass einfach nicht genug Mittel in die Unterstützung von Bildung von sozial schlechter Gestellten gegeben werden, ist von dem unabhängig. Es ist am Ende eine Verteilungsfrage. Die stellt sich nicht zwischen Studiengebühren und Grundschulförderung. Da gibt es ganz andere Bereiche, in denen Privilegierte ordentlich bezuschusst werden. BERNHARD STOEVESANDT, Bremen

■ betr.: „Karl Marx hatte doch recht“, taz vom 25. 10. 12

Emanzipiert werden Studis nicht in einem Studium, das jemensch nach drei Jahren ausbildet. Emanzipiert werden Menschen meines Erachtens nur durch kritische Bildung. Wenn alle Menschen einfach ihr eigenes Handeln öfter hinterfragen würden und daraus normative Rückschlüsse gezogen werden würden.

Aber das heutige Bildungssystem hat eher wenig mit kritischer als mit allgemeiner Bildung zu tun. Und mit diesem Wortlaut der Allgemeinbildung will man die Gesellschaft in dumm und klug selektieren, obwohl das einfach völlig Banane ist. Genauso wie ein bundesweit einheitliches Abitur, kann es für die kritische Bildung einer Gesellschaft nichts Schlechteres geben, als nur noch mehr gerankt und bewertet zu werden. Denn jede/r weiß, je besser mein Ranking, desto höher mein Gehalt, desto höher mein Konsum und mein Ansehen … und das ist gut, weil die Gesellschaft das so suggeriert.

Noch ein großer Kritikpunkt dieser Verwirtschaftlichung der Bildungsstruktur ist, dass viel Wissen nicht gefördert werden kann, weil es nicht in die allgemeinbildenden Standards klassifiziert wurde … und für alles andere gibt’s leider kein Geld. Somit liegt die Kritik ganz klar bei wem? Am System selbst.

Denn das gehört meines Erachten auch zu einer dynamischen emanzipierten Gesellschaft – das System selbst zu hinterfragen. Aber bevor der „investigative“ Journalismus das von der Politik fordert, sollten lieber Studiengebühren als emanzipatorisches Mittel eingesetzt werden!

Um es mit den Worten meiner Generation zu beschreiben: LAME!!!!

AStA-Fritz, taz.de

Studiengebühren werden vielleicht schon bald in Deutschland wieder abgeschafft sein, lautete die Nachricht. Daraufhin nahm taz-Autor Christian Füller ein Marx-Zitat aus den kritischen Randglossen zum Gothaer Programm der Sozialdemokratie (1875) als Zeugnis dafür, dass Studiengebühren Bildungsgerechtigkeit herstellen. Nicht überraschend folgte ein Mail-Storm, in dem die korrekte Auslegung dieses Zitats angezweifelt wird (siehe taz.de: www.taz.de/!c104210). Vor allem aber wenden sich Studierende wie ihre Eltern gegen Studiengebühren, weil sie sehr konkret im Alltag eine hohe Belastung Wenigerbetuchter darstellen, das Studium vernünftig zu bewältigen.

Marx schrieb, als er seine Notizen an den Sozialdemokraten Wilhelm Bracke schickte, auch: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“