heute in hamburg
: „Ein Riss im schönen Schein“

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Cathrin Hauswald, 32, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Fotografie und neue Medien am MKG.

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Hauswald, wer war Dora Kallmus alias Madame dOra? Anders gefragt: Warum kann, warum soll man sich heute für eine seit 50 Jahren tote Fotografin interessieren?

Cathrin Hauswald: Madame d’Ora war eine Porträtfotografin jüdischer Abstammung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Wiener und Pariser Gesellschaft und Bohème künstlerisch in Szene setzte. Sie fotografierte Arthur Schnitzler, Josephine Baker oder auch Coco Chanel und publizierte zahlreiche ihrer glamourösen Aufnahmen in den aufkommenden Zeitschriften der 1920er-Jahren. Mit dem Zweiten Weltkrieg, der traumatische Spuren in ihrem Leben hinterlässt, erfolgt eine radikale Zäsur in d’Oras Werk. Sie arbeitet wieder als Porträtistin und wendet sich gleichzeitig auch den Opfern des Krieges zu, sie fotografiert in österreichischen Flüchtlingslagern und Pariser Schlachthäusern. Hier wird ein Riss in der Oberfläche des schönen Scheins sichtbar, der damals wie heute höchst aktuell ist.

Sie kündigen auch eine „Neubewertung“ dOras an – inwiefern?

Über 40 Jahre ist die letzte Ausstellung zu d’Ora im MKG her, über 30 Jahre die Veröffentlichung der letzten Monografie zu ihrem Werk. Wir haben ihren Nachlass, der sich im MKG befindet, aufgearbeitet, Archive besucht und zahlreiche Originaltexte eingesehen. In der Ausstellung erfährt ihr Nachkriegswerk eine Stärkung. Dabei interessieren wir uns besonders für die Kontinuitäten in ihrem Werk

Mannequins, Bürgertum, aber auch Displaced Persons – hatte dOra nicht die dialektische Bandbreite des 20. Jahrhunderts vor der Kamera?

Es ist genau dieser augenscheinliche Bruch, für den wir uns interessieren: Die Inszenierung glamouröser Schauspielerinnen auf der einen Seite und die emphatische Dokumentation der Nachwirkungen des Krieges auf das Individuum auf der anderen Seite. In ihren Bildern zeigt sich in der Nachkriegszeit dabei eine Brüchigkeit des Schönen, die beide Seiten in ihrer Verletzlichkeit miteinander verbindet.

Vom Sänger Randy Newman sind die Worte überliefert, bedeutender als jeder (Protest-)Song sei allemal, was jemand wie Madonna anzieht. Welchen zeitdiagnostischen Wert hat die Modefotografie für Sie?

Die von d’Ora spiegelt etwa die Entwicklung des Bilds der Frau im Wandel der Jahrzehnte wider: von aristokratischen Idealen in kunstfotografischen Settings hin zur „neuen Frau“ mit Bubikopf, Zigarette und Seidenstrumpf. Die Fotografie macht diese Entwicklung und die veränderte Wahrnehmung sichtbar.

Ausstellungseröffnung „Madame D’Ora. Machen Sie mich schön!“: 19 Uhr Museum für Kunst und Gewerbe; bis 18. März 2018