Messiaen im Bauch

JAZZ Oliver Poppe bringt Messiaen und Bill Evans zusammen. Ein Gespräch über die Möglichkeiten des Trios, harmonische Weiterentwicklung und ein neues Label

■ Jahrgang 1978, stammt aus Ganderkesee und hat an der Bremer Musikhochschule studiert. Seit 12 Jahren betreibt er das Oli-Poppe-Trio, zu dem neben Poppe der Bassist Michael Gudenkauf und Schlagzeuger Ralf Jackowski gehören.

INTERVIEW ANDREAS SCHNELL

taz: Sie haben eigens für Ihr neues Album „Tadgh’s Trip“ das Label Itchy Dog Records gegründet. Ist das nicht etwas gewagt in Zeiten wie diesen?

Oliver Poppe: Man darf das nicht in der Annahme machen, dass man damit Geld verdient. Es ist ein Werkzeug, seine Musik präsentieren zu können, das selbst in der Hand zu haben und nicht von anderen Leuten abhängig zu sein. Im Jazz ist es mittlerweile wie im Pop-Geschäft: Man muss eigentlich mit 18 seine erste Platte mit Typen aus New York gemacht haben, am besten auch noch weiblich sein und gut aussehend. Ich hab auch den Eindruck, dass viele Leute auch nicht mehr vor allem nur der Musik wegen ausgesucht werden, sondern nach einem gewissen Ideal vom jungen Künstler. Dem entspreche ich nicht und will ich auch gar nicht entsprechen. Bevor wir also irgendein Label bezahlen, dass wir unsere Produktion bei denen veröffentlichen können, können wir das auch selber machen.

Sie machen ja nicht nur das Trio, sondern auch andere Sachen. Ist das Trio so etwas wie Ihre Lieblingsformation, gewissermaßen der Kern Ihres Schaffens?

Es ist für die Stücke, die wir aufgenommen haben, auf jeden Fall die geeignete Besetzung. Ich wollte was ohne Solisten machen. Wir haben eher eine Auffassung wie das Bill-Evans-Trio, dass es nicht einen Pianisten gibt, den Bass und Schlagzeug begleiten. Wir versuchen die Stücke zu dritt abzubilden. Wir sind alle drei gleich wichtig.

Sie komponieren also auch Stücke, die nicht ins Trio passen?

Ja, ich arrangiere auch für Bigband. Ich leite eine Amateur-Bigband in Brake, und da schreibe ich gelegentlich auch selber Stücke und Arrangements. Das ist immer viel Arbeit, weil es so viele Instrumente gibt, deswegen kann ich es mir leider nicht leisten, das ausschließlich zu machen.

Würden Sie das denn gern?

Bei einem Trio hat man natürlich mehr Freiheiten. Wenn man nur auf zwei Leute reagieren muss, kann man eben auch frei spielen. Bei „Tadgh’s Trip“, dem Opener des Albums, ist zum Beispiel außer dem Thema gar nichts notiert. Das ist alles aus dem Moment heraus entstanden.

Es gibt auf dem Album Stücke, die tonal und harmonisch recht weit gehen. Aber zugleich wirkt die Musik geradezu unspektakulär. Es gab ja in den letzten Jahren einige Piano-Trios, die ihr Klangspektrum mit Effektgeräten erweitert haben oder Kompositionen aus Rock und Pop gespielt haben.

Ich finde sowas auch toll, aber für meine persönlichen Sachen ist es wichtig, dass ich die Instrumente hören kann. Wenn ich einen Steinway spiele, wie auf dem Album, muss man den nicht verfremden, weil das so ein tolles Instrument ist. Den spielt man ja auch nicht alle Tage. Es ist toll, wenn ein Instrument solche Möglichkeiten hat. Ich versuche mich dann eher über meine Akkorde und harmonische Dinge auszudrücken.

Warum ist denn das Klavier-Trio eigentlich so erfolgreich gewesen in den letzten Jahren?

„Wir haben eine Auffassung wie das Bill-Evans-Trio, dass es nicht einen Pianisten gibt, den Bass und Schlagzeug begleiten. Wir sind alle drei gleich wichtig“

OLIVER POPPE

Das ist eine klassische Besetzung, ein Ding für sich. Um das Trio von Esbjörn Svensson und seine Experimente gab es eine Zeitlang einen Hype, aber das hätte wahrscheinlich auch mit einer anderen Besetzung passieren können. Das Piano-Trio bietet sich aber für derartige Experimente an, weil die Besetzung viel Platz bietet. Ob Piano-Trios in den letzten Jahren aber wirklich so einen Boom erlebt haben, weiß ich nicht. Vom Booking kenne ich es eher so, dass es relativ schwierig ist, weil viele Veranstalter sagen: Wir brauchen noch einen Solisten, am besten Gesang oder mindestens ein Saxofon. Außerdem ist es schwierig, einen guten Raum mit einem guten Klavier zu finden. Diese Musik kann man auf einem E-Piano gar nicht spielen.

Hubert Nuss schreibt in den Liner Notes von „Messiaen-Farben“. Messiaen ist ja nicht gerade ein Jazzer gewesen. Wie kommt das?

Ich bin bei der Suche nach neuen Möglichkeiten auf Messiaen gestoßen. Das Dur-Moll-System ist begrenzt und klingt letztendlich immer gleich. Daraus kann man die Konsequenz ziehen, frei zu spielen, womit dann oft chromatisch gemeint ist oder das Spielen von Clustern. Aber das empfinde ich nicht als Freiheit. Tonmaterial lässt sich immer zuordnen, und wenn ich nicht sieben Töne benutze, sondern zwölf, ist das für mich chromatisch. Messiaen hat eine Harmonielehre entwickelt und darüber geschrieben, wie man andere Skalen, symmetrische Skalen benutzt, um Akkorde zu bilden. Jeder Modus hat da seinen eigenen Sound. Die meisten Leute werden den Unterschied zwischen diesen Modi und dem chromatischem Spiel wohl erst kaum hören, da muss man sich erst einhören. Aber es hat seinen eigenen Charakter, und ich dachte mir, dass kann ich als zusätzliche Farbe benutzen.

War es schwierig, das in eine ganz andere Welt zu transportierten?

Das ist Überalltag für Jazz-Musiker. Man übt irgendeinen Kram und macht den Kopf auf und tut was Neues rein. Und dann hofft man, dass es aus den Fingern im Bauch ankommt und man es integrieren kann, ohne dass es zu verkopft wird oder zu technisch klingt. Das mag ich gar nicht. Ich bin eher Bauch-Musiker.

■ Mittwoch, 31. 10., 20 Uhr, Moments, Freitag, 3. 11., 20 Uhr, Kito; weitere Informationen: www.itchy-dog-records.com