talk of the living room
: Eine Geschichte für die stille Zeit

Die Kinder in der Schule nehmen Mark immer wieder seine Brille weg. Sie verstecken sie oder werfen sie ins Aquarium. Aber ist Mark das Opfer? Oder spielt er das Spiel nur mit?

Illustration: ­Rattelschneck

In einem Dorf nahe Bad Bent­heim lebte einst Mark, ein Junge, dem immer die Brille geklaut wurde. Die anderen Kinder schnappten sie ihm von der Nase und blieben, anstatt wegzurennen, um ihn zu ärgern, ganz in der Nähe, sie hielten ihm die Brille vors Gesicht und zogen schnell weg, wenn er ausholte.

Da er schlecht, aber nicht ganz schlecht sah und auch anhand des Verhaltens der anderen Kinder wusste Mark immer in etwa, wo sich die Brille befand – sodass die Gefahr groß war, er könnte sie doch überraschend plötzlich wieder an sich reißen.

Wie schlecht er genau sah, wussten die Kinder dabei nicht; und selbiges festzustellen gab Mark sich Mühe unmöglich zu machen, indem er nicht immer, wenn er wirklich wusste, wo die Brille war, das auch erkennen ließ. Wie aus dem Nichts konnte er daher gelegentlich zupacken!

Also legten die Kinder die Brille gerne in das Schulaquarium, zwischen all die Farne und Gummipflanzen und blinkenden Lichter und Fische. Dort suchte Mark dann oft stundenlang, schließlich war die Brille modisch und fügte sich optisch gut ein in die Umgebung.

Doch auch hier wusste er den anderen Unsicherheit zu bereiten: Denn ebenfalls ergriff er die Brille nicht immer, wenn er sie ertastet hatte.

Da er schlecht, aber nicht ganz schlecht sah, wusste Mark immer in etwa, wo sich die Brille befand

Manchmal saß er noch Tage vor dem Kasten, obwohl er ihren Lageplatz längst wusste. Auch mussten die Kinder, um immer wieder Marks Vertrauen zu erlangen, auf dass er sie wieder in seine Nähe ließ, wenn er, frisch aufgetaut, mit der wiedergewonnenen Brille auf der Nase, durch den Korridor wippte, viel, sehr viel Zeit mit ihm verbringen. Wie Schlangen kamen sie dabei teils monatelang ohne „Beutefang“ aus, bis sie – zack!schnapp! – den Kreislauf wieder neu in Gang setzten.

So lebten beide Seiten – Mark und die anderen Kinder – in beständiger Ratlosigkeit; und dennoch nie ganz ungetrübt.

Mehr von Rattelschneck:

„Donkey-Schotte, Der Schottische Esel“, Lappan-Verlag 2017.

Mehr von Adrian Schulz:

Alle zwei Wochen auf dieser Seite in der Kolumne „Jung und dumm“.