So viel Kritik muss sein: Jens Fischer über das neue „Visual Poem“ von Alexander Giesche
: Kein Gedicht, dieses Gedicht

Hineintauchen in weit geöffnete Assoziationsräume der kunstvoll komponierten Wort- oder Bildzeichen und einfach losdenken: Poeme sind Selbstversenkungsanlässe – um kurz mal grundsätzlich zu werden. Alexander Giesches neues „Visual Poem“ soll dabei zu einem Diskurs verführen, in dem die Zukunft der Menschheit ihr Ende ist.

Nicht, dass sie die Erde zerstört und ausstirbt. Die Homo-sapiens-Sippe könnte sich selbst links überholen und den nächsten Entwicklungssprung inszenieren. Die lyrische Aufarbeitung ist „Superposition“ betitelt, weil der Betrachter wohl eine solche einnehmen und beurteilen soll, ob es Utopie oder Dystopie ist, wenn wir von unserem begrenzten Verstand, unseren irrationalen Emotionen und alternden Körpern erlöst werden und das Menschsein zum Menschmaschinesein transzendieren – einfach das Hirn auf eine Festplatte downloaden, upgraden und in einen Roboter implantieren.

Um die Theaterzuschauer in Superpositionierungsstimmung zu bringen, zeigt Giesche im schwarzen Bühnenraum erst mal kaum mehr als einen schwarz vermummten Mann: Justus (Ritter), mit Vermessungspunkten übersät, damit sein Bewegungsablauf eingescannt und in jedwede virtuelle Realität hineinkopiert werden kann. Noch ist er aber Subjekt und zeigt, wie er über die Bühnenmaschinerie gebietet.

Noch überlegener fühlt Justus sich gegenüber der Haussklaven-Roboterin 2.0 (Nadine Geyersbach). Als wichtiges Abgrenzungsargument wird die Seele ins Spiel gebracht, auch wenn man die jetzt nicht zeigen könne. Einmalig toll sei des Menschen Fähigkeit, per Musik über Gefühle zu kommunizieren. Da will der Roboter nicht länger schweigen, behauptet seine künstliche Intelligenz und artikuliert ihre Überlegenheit auch in einer eigenen Sprache, die Theaterzuschauer als Krach wahrnehmen. So stehen sie sich gegenüber wie Spiegelbilder: Mensch und Maschine, Mann und Frau. Ob es gut wäre, wenn beide verschmölzen, könnte eine Superpositionsfrage sein.

Die Roboterin aber zeigt einen anderen Weg in die Zukunft. Sie fährt den Mann in den Bühnenhimmel und regt an: „Jetzt spring doch.“ Justus’ Körper verkrampft. Will die Maschine den Menschen übertölpeln, ihm seine Antiquiertheit aufzeigen, als suboptimierte Spezies ausmerzen und im freien Fall zu einer Superintelligenz mit Supermanneigenschaften aufpäppeln? Also antwortet er: „Du weißt doch, dass ich das nicht kann.“

Ich denke, also bin ich gegen die Ma­trix der Algorithmen, mit denen Computer „denken.“ Das ging mir im Kopf herum während der poetischen Sitzung im Theater. Irgendwas muss man ja denken. Denn 60 Aufführungsminuten werden lang, da Giesches Bilder nicht feinsinnig verwoben die Hirntätigkeit befeuern, eher lässig vor sich hinblinken. Um überhaupt eine Anmutung von Dringlichkeit zu erzeugen, wird ein Soundtrack übers Geschen gelegt, der klingt, als seien erste Klangfindungsversuche eines Freundes elektronischer Musik überstürzt auf einer Tonspur zusammengekehrt worden. Kein Gedicht, dieses Gedicht.

Weitere Termine: 26. 1. und 22. 2., je 20 Uhr, Theater am Goetheplatz