Das Objekt im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit

Wann ist etwas Gemachtes Kunst? Und ist es dann automatisch für die Öffentlichkeit gedacht? Diesen Fragen geht eine kleine Ausstellung im Kunstverein Langenhagen nach und zeigt dabei Objekte des Niederländers Jack Jaeger. Sein Werk ist im im Kunstkontext nahezu unbekannt

Von Bettina Maria Brosowsky

Jaeger erlebte seine frühe, traumatische Kindheit in einer Heimat, die 1940 von der deutschen Wehrmacht überrannt wurde. Die neutralen Niederlande waren zur Kapitulation gezwungen. Mit 18 Jahrenging er in die USA, wurde dort Kameramann, Filmemacher, Produzent, Fotograf von Filmstandbildern.

Sein Ziel war Hollywood, gleichwohl blieb er in New York, wo er ein unermüdliches Netzwerken und multidisziplinäres Arbeiten entwickelte. Er war etwa in den 1990ern für zwei Jahre Mitherausgeber des Kunstmagazins „Zapp“, das regelmäßig als (damals hochmodernes) VHS-Video erschien. Er kuratierte unzählige Ausstellungen künstlerischer Talente am Beginn ihrer Karriere, so beispielsweise des jungen Wolfgang Tillmans oder der Niederländerin Lily van der Stokker, seiner späteren Partnerin.

Ein Interesse für Mode kam hinzu, weniger als eigenes exaltiertes Styling, sondern mehr als Beobachtung einer sich in Richtung Kunst orientierenden Sparte täglichen Gebrauchsguts. Jaeger sammelte bewusst Fotografien, etwa der großen amerikanischen Traditionslinie von Walker Evans, Weegee oder Lewis W. Hine, um daran seine eigenen Ideen zur Fotografie zu entwickeln und zu schärfen.

Ende der 1980er Jahre war Jaeger auch als bildnerisch Schaffender produktiv geworden, machte „Kunstdinge“, wie er es bezeichnete. Er schuf, besser vielleicht: bastelte fantasievolle Konstrukte aus Allerweltprodukten, auch Abfall wie Tetrapacks und Plastikflaschen war darunter, meist in starkem Kolorit und üppigem Dekor. Das mag durch die großen Muster und intensiven Farben inspiriert gewesen sein, mit denen Lily van der Stokker ihre ganz individuelle Auslegung der Pop Art pflegte.

Jaegers Ausgangsmaterial waren Fotografien von farbigen Oberflächen, Ornamenten und Strukturen, die er auf dünne Plastikflächen montierte. Er erfand seine eigene, künstlerisch veredelte Form des damals aktuellen Werkstoffs Resopal, der Möbel und Interieurs beherrschte. Aus dem gemusterten Plastikmaterial schnitt er kleine, gleichförmige Stücke, verband sie durch sichtbare Schrauben, Bolzen oder Nieten zu flächigen oder auch dreidimensionalen, manchmal blumigen Gebilden.

Mit der unendlichen Wiederholung der Muster machte er ihre technische Reproduzierbarkeit kraft Fotografie zu seinem Thema – mit deutlichem Augenzwinkern in Richtung einer theoretisierenden Philosophie à la Walter Benjamin. Er bekleidete mit seinem dünnen Schichtstoff auch Saftpackungen und Flaschen, kombinierte die Arrangements mit vorgefundenen Fotos und weiterem Material. In seinen späteren Arbeiten versah er das Ganze dann mit einer Elektroinstallation, schuf dekorative, bunte Leuchtkörper. Die rezeptive Lichtbildnerei der Fotografie wurde selbst zum aktiven Träger des Lichts – vielleicht ein weiteres Augenzwinkern in Richtung des kunsttheoretischen Überbaus.

Diese ironischen Objekte Jaegers, die zwischen Neo-Dada und Vintage-Pop anzusiedeln wären, aber auch das Design der Postmoderne anklingen lassen, waren sehr persönliche ästhetische Experimente und somit eher nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Jaeger beteiligte sich zwar an Gruppenausstellungen und es gab 2005 auch eine kleine Einzelausstellung im New Yorker Projektraum White Columns. Aber nach seinem Tod verschwand alles in der pfleglichen Obhut Van der Stokkers.

Blickt man durchs Schaufenster des Kunstvereins Langenhagen, sieht es nach einem bunten Gebraucht­warenladen aus

Dem guten Kontakt der Kunstvereinsleiterin Noor Mertens zu ihrer Landsmännin ist es zu verdanken, dass das weitgehend unbekannte Werk Jaegers nun doch öffentlich gezeigt wird. Vielleicht, um die Objekte in einer vertrauensvollen Atmosphäre zu zeigen, sicherlich auch, um Jaeger als Netzwerker und Förderer im Kollegenkreis vorzustellen, hat Mertens zehn Weggefährten eingeladen, mit eigenen Beiträgen den Dialog mit Jack Jaeger noch einmal neu aufzunehmen. Alle haben zugesagt.

Wolfgang Tillmans hat neun lapidare Fotodrucke beigesteuert. Der US-Amerikaner B. Wurtz spielt mit einem baumartigen Mobile aus Laufsteg-Dias, Knöpfen und Fäden auf die gemeinsame Modebegeisterung an. Anne Collier stellt ein glamouröses Exemplar ihrer aktuellen Serie anonymer „Frauen mit Kameras“ zur Verfügung. Auch sie liefert so einen Kommentar zur Fotografie, die Frauen traditionell lieber als Modell vor dem Objektiv sah. Und der belgische Modedesigner Raf Simons spendierte aus seiner Frühjahrskollektion drei übergroße Shirts, bedruckt mit Motiven des skandalträchtigen US-Fotokünstlers Robert Mapplethorpe.

Blickt man also derzeit durchs Schaufenster des Kunstvereins Langenhagen, sieht es mit all diesen Sachen nach einem bunten Gebrauchtwarenladen aus, eher nicht nach einer Kunstinstitution. Aber diese erfrischende Präsentation passt zu einer humorvollen, sehr persönlichen Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Objekt, die sich offensichtlich intellektuell nie verbog, in ästhetischen wie rezeptiven Strategien aber manch Grundfesten der Kunst aufs Korn zu nehmen vermochte.

Ausstellung: aroundabout Jack Jaeger im Kunstverein Langenhagen, läuft noch bis zum 11. Februar 2018