heute in bremen
: „Das Judentum ist sehr viel geerdeter“

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Christoph Münz, 57, ist Vorstand des Koordinierungsrates für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Herausgeber des „Compass Infodienst“.

Interview Jan Zier

taz: Kann man nach Auschwitz überhaupt noch an Gott glauben, Herr Münz?

Christoph Münz: Die jüdischen Positionen sind da sehr unterschiedlich. Es gibt einen amerikanischen Theologen, Richard Rubenstein, der mit Blick auf Auschwitz eine „Gott ist tot“-Theologie verkündet. Es gibt aber auch Positionen, die einen Glauben nach Auschwitz für möglich halten und das auch theologisch begründen.

Mit welchem Argument?

Am wirkungsreichsten war die Auslegung des Philosophen Emil Ludwig Fackenheim. Er stand auf dem Standpunkt, dass für einen Juden nach Auschwitz nur dann noch ein Glaube möglich ist, wenn der Gott der Geschichte – an den das Judentum ja glaubt – sich in Auschwitz offenbart hat. Und davon ist er überzeugt. Für ihn geht von Auschwitz eine gebietende Stimme aus: Juden ist es verboten, Hitler posthum einen Sieg zu gönnen, indem sie ihren Glauben wegen des Holocaust aufgeben. Wer das tut, macht im Grunde Hitlers Arbeit, so die Idee.

Die Frage, wie Gott so etwas zulassen kann, bewegt ja auch andere Religionen. Landet man da nicht immer bei der Aussage: Die Wege des Herren sind unergründlich?

Das ist eine sehr verkürzte und meines Erachtens sehr oberflächliche Reaktion. Natürlich kann man sich in das Geheimnis des Glaubens zurückziehen. Aber das scheint mir eine Versuchung zu sein, die eher auf der christlichen Seite vorhanden ist. Das Judentum ist sehr viel geerdeter und diesseitsbezogener. Deshalb kann es sich nicht so leicht in eine solche Position zurückziehen.

Sie sprechen von einer „Feuerprobe für den jüdischen Glauben“. Davon gab es viele. Geht das Judentum damit heute anders um?

Vortrag„Wo war Gott in Auschwitz? Feuerprobe für den jüdischen Glauben“ in der Jüdischen Gemeinde: 20 Uhr Schwachhauser Heer­strasse 117,

Man kann sagen, dass bei den großen Katastrophen des Judentums der letzten 2000 Jahre im wesentlichen zwei religiöse Ideen zum Ausdruck kamen. Entweder man sagte, es geschieht unserer Sünden wegen: Wir als Juden haben gesündigt, deswegen nimmt sich Gott ein Werkzeug, um uns Juden zu bestrafen. Die andere große theologische Überlegung ist die, den Opfern von Leid, Unrecht und Katastrophen den Status eines Märtyrers zukommen zu lassen: Sie sind gestorben für die Heiligung des Namens Gottes. Diese beiden Überlegungen wurden von jüdischen Denkern nach 1945 in der Regel nicht mehr akzeptiert.

Haben sich denn viele Überlebende der Shoa von ihrem Glaube abgewandt?

Es gibt meines Wissens keine repräsentative empirische Untersuchung etwa unter den Überlebenden des Holocaust, wie sie mit der Gottesfrage und ihrem Glauben umgehen. Man kann dazu kaum etwas sagen, weil da die Zahlen fehlen. Es gibt Leute, die sagen, für sie ist der Glaube gestorben. Es gibt aber auch genauso viele Zeugnisse von Menschen, die sagen, dass ihnen der eigene Glaube geholfen hat, zu überleben.