Buchtipp

Eine Art von Nichts

Reisen sie nach Babadag, Levoča, Erind oder Spišská Belá! Vergessen Sie Paris, Wien, Krakau. Das Zentrum ist immer eine Schimäre, Lug und Trug, die Werbesendung für Faltencreme – die Peripherie ist die faltige Haut. Doch wo ist sie, diese Peripherie Europas? Sie beginnt, wenn man so will, an der Elbe und breitet sich wie ein löchriges Sieb nach Osten und Südosten aus. Im rumänischen Sulina ergießt sie sich mit den Wassern der Donau ins Schwarze Meer, im ungarischen Nagykálló versinkt sie abends in der Ebene Pannoniens, in der Bukowina wird sie vom ewigen Grün der Berge verschluckt, im polnischen Dukla schwimmt sie als trüber Schaum auf dem Bier. Sie ist Vergangenheit, Europas schmuddelige, arme, zuweilen nostalgisch verklärte Kindheit. Den einen oder anderen in den rastlosen Metropolen mag sie in seinen Albträumen als apokalyptische Zukunftsvision heimsuchen. Männer, die sich seelenruhig mittags betrinken, Langeweile, Melancholie, Leere. Peripherie, das ist Albanien, dessen eigentlichen Namen „Shqiperia“ kaum einer in Europa kennt, das Unbewusste, das Vergessene. Orte, in denen Europa recyceltwird.

Andrzej Stasiuk lebt in den Beskiden, in Konieczna, was so viel wie Ende heißt. Seit Jahren reist der 1960 geborene polnische Autor auf Nebenstrecken im Grenzland zwischen Polen und dem Schwarzen Meer, den Beskiden und der Adria. Für ihn ist Peripherie ein Ort, der früher anders hieß, ein geografischer Raum, von dem die Menschen sagen, dass er einmal zu etwas anderem gehörte. Stasiuk reist durch Landschaften, deren Namen man selten kennt. Hin und wieder schimmert durch den Putz der bröckelnden Fassaden der Glanz vergangener Zeiten, als weise Herrscher die Peripherie noch nicht als lästige Randzone sahen, sondern als Grenzland zu weiteren Eroberungen und als Schutzzone vor Eindringlingen. Stasiuk hat ein wunderbares Buch geschrieben, eine Hymne auf das „balkanische Chaos“, auf das „Provisorische, das stets nur auf einer Backe sitzt“, auf das Leben als Improvisation. SABINE BERKING

Andrzej Stasiuk: „Unterwegs nach Babadag“. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005, 300 Seiten, geb., 22,80 €