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Betriebe im Norden bilden zu wenig aus

Laut aktuellem Ländermonitor „Berufliche Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung kommen in Norddeutschland potenzielle Auszubildende und Betriebe nicht zusammen.
Die Stiftung fordert: Betriebe sollten neue Wege der Bewerberansprache einschlagen, sich neuen Zielgruppen öffnen und die Rahmenbedingungen verbessern

Eine junge Frau informiert sich bei der Arbeitsagentur über freie Ausbildungsstellen. Während in Süddeutschland davon viele nicht besetzt werden können, bilden Experten zufolge im Norden zu wenig Betriebe aus Foto: Christoph Schmidt/dpa

Von Elisabeth Nöfer

Auf den ersten Blick haben sich 2017 die Chancen der BewerberInnen auf dem deutschen Ausbildungsmarkt verbessert. Dem Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) zufolge ist das Angebot im Vergleich zum Vorjahr um 1,5% gewachsen, das sind so viele offene Ausbildungsplätze wie seit 1994 nicht mehr. Aber: Es herrschen dramatische Unterschiede zwischen den Bundesländern. Im Verhältnis von Angebot und Nachfrage gibt es ein starkes Nord-Süd-Gefälle.

So können in Süddeutschland viele Plätze nicht besetzt werden, während im Norden zu wenig Betriebe ausbilden. Während in Bayern die BewerberInnen unter den besten Angeboten auswählen können, gibt es im Land Bremen mit 87.5 Stellen auf 100 Nachfragende die größten Versorgungsengpässe. Auch in Niedersachsen ist die Situation mit nur 88.8 Angeboten einer der problematischsten in Deutschland, so die Studie. Paradoxerweise blieben gleichzeitig knapp acht Prozent aller Stellen unbesetzt. Denn potenzielle Azubis und Betriebe kommen nicht zusammen, so ein Ergebnis der aktuellen Bertelsmann-Studie „Ländermonitor 2017“.

Um den Fachkräfte-Nachwuchs zu sichern, könne Deutschland sich aber „weder offene Ausbildungsstellen noch ausbildungslose Jugendliche leisten“, meint Jörg Dräger aus dem Bertelsmann-Vorstand. In deren Auftrag verknüpfte das soziologische Forschungsinstitut SOFI und die Universität Göttingen die BiBB-Zahlen, die Ausbildungsberichterstattung der Statistischen Landesämter und zusätzlich sozioökonomische Faktoren zu einer umfassenderen Studie.

HauptschülerInnen gehen danach auf dem Ausbildungsmarkt häufig leer aus, obwohl sie ursprünglich die klassische Ausbildungszielgruppe bildeten. Der Ländermonitor stellte fest, dass es 2015 nur jedem zweiten Schulabgänger ohne oder mit Hauptschulabschluss gelang, direkt eine Ausbildung im dualen– oder Schulberufssystem aufzunehmen. Betriebe ziehen BewerberInnen mit höheren Schulabschlüssen vor, und die liegen im Trend.

Auch Oliver Thieß, der die Bildungspolitik bei der Handwerkskammer Hamburg leitet, berichtet: „Kein anderes Bundesland hat so viele Abiturienten in der Ausbildung wie Hamburg. Was sicherlich auch daran liegt, dass wir so viele Abiturienten hier produzieren.“ Mit 47,2 Prozent hatte Hamburg 2015 den höchsten Anteil an SchulabgängerInnen mit Hochschulreife, im Vergleich zu 34,8 Prozent in Bremen und 26,4 Prozent in Niedersachsen. Auch in Bremen werden HauptschülerInnen von besser Qualifizierten ausgestochen, bestätigt Regine Geraedts von der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Auch Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft haben geringere Chancen. Deren Anteil an den BewerberInnen hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Deshalb landen sie besonders häufig in sogenannten Übergangsmaßnahmen – selbst wenn sie den gleichen Schulabschluss wie ihre deutschen MitbewerberInnen haben. In Hamburg münden fast die Hälfte der ausländischen Jugendlichen in das Übergangssystem ein, in Niedersachsen fast 60 Prozent.

Diese Maßnahmen seien durch „fehlende Anschlussperspektiven“ und eine „hohe Intransparenz“ gekennzeichnet, kritisiert der Ländermonitor. Hamburg reformierte die Berufsvorbereitung, weil es „entschieden zu viele Jugendliche im Übergangssystem gab“, sagt Hartmut Sturm, Geschäftsbereichsleiter Schule und Beruf beim Hamburger Institut für Berufsbildung (Hibb).

Durch die Einführung der elfjährigen Schulpflicht sind SchulabgängerInnen ohne Ausbildungsplatz in Hamburg nach der 10. Klasse verpflichtet, die dualisierte Ausbildungsvorbereitung Av-Dual zu besuchen. Dort müssen sie sich für einen Beruf entscheiden. Das Erfolgsrezept sei, so Thieß von der Handwerkskammer, dass die Ausbildungsförderung auch im Betrieb stattfindet. Jugendliche können in der Berufsqualifizierung (BQ) das erste Ausbildungsjahr absolvieren und darüber in eine duale Ausbildung wechseln. Das hat Erfolg: Fast 40 Prozent würden so in eine Ausbildung wechseln, sagt Sturm. Vor der Reform waren es nur 20 Prozent.

In Bremen wird wenig ausgebildet, da die Betriebe nicht genug Ausbildungsstellen zur Verfügung stellen. „Es ist ein alarmierendes Signal, wenn sich die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten wegen der guten Konjunktur nach oben entwickelt, gleichzeitig aber die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge immer weiter zurückgeht“, sagt Regine Ge­raedts. Die politische Steuerung sei vorhanden, „daran liegt es nicht.“ Analog zum Hamburger Modell gibt es nämlich auch in Bremen seit 2015 die BQ-Maßnahme. Und es wurde eine Jugendberufsagentur gegründet, die wie in Hamburg den Übergang von der Schule in den Beruf zentral koordiniert.

Auf der betrieblichen Seite sei es „ganz schwer, junge Menschen zu finden“, sagt hingegen der Bremer Bauunternehmer Jan-Gerd Kröger: „Und wir im Baubereich haben den höchsten Ausbildungslohn.“ Auch der Bibb-Report berichtet von besonders starken Besetzungsproblemen im Handwerk. Kröger, der auch Präses der Bremer Handwerkskammer ist, sieht die Ursache in der steigenden Zahl an Studierenden. Im aktuellen Semester sind so viele junge Menschen eingeschrieben wie nie zuvor. Und mit den verbliebenen Azubis hätten viele Betriebe schlechte Erfahrungen gemacht, so Kröger. Mit der Behauptung eines Ausbildungsplatzmangels mache „die Arbeitnehmerkammer es sich zu einfach“, sagt er.

Denn 40 Prozent der Bremer Azubis kämen aus Niedersachsen. Die würden BremerInnen im Wettbewerb ausstechen. Rechnete man die einpendelnden Azubis raus, „dann hätten wir einen wahnsinnigen Ausbildungsplatz-Überschuss“, so Kröger.

„In bestimmten Branchen sinkt die Qualität, weil Azubis nicht als Investition in Fachkräfte, sondern als Produktionshilfen gesehen werden“

Regine Geraedts, Arbeitnehmerkammer Bremen

Für viele Analysen fehlen der Arbeitnehmerkammer in Bremen aktuelle Daten des Landesstatistikamts. Die letzte Erhebung zum Ausbildungsmarkt ist von 2014. Seitdem sei die entsprechende Stelle aufgrund von „altersbedingten Umstrukturierungen“ nicht besetzt, sagt Roland Habich, Abteilungsleiter Bevölkerung und Staat beim Landesstatistikamt. Auch im Ländermonitor fehlt aus diesem Grund ein separater Länderbericht für Bremen. Das sei „ärgerlich, weil wichtige Daten für die Forschung, aber auch für die politische Steuerung nicht zur Verfügung stehen“, so Geraedts. In der Statistik der Arbeitsagentur seien „ungefähr die Hälfte AltbewerberInnen“. Und die 40 Prozent aus Niedersachsen sind erst gar nicht erfasst.

In einigen Branchen sind nicht der Mangel an Ausbildungsplätzen, sondern der Mangel an BewerberInnen das Problem. Branchen wie die Gas­tronomie leiden unter starken Besetzungsproblemen, während kaufmännische Berufe oder Mediengestaltung sehr beliebt sind. Auch daher rühren die vom Ländermonitor bemängelten Passungsprobleme. „In bestimmten Branchen sinkt die Qualität, weil Azubis nicht als Investition in Fachkräfte, sondern als Produktionshilfen gesehen werden“, sagt Geraedts.

Bei der Handwerkskammer gehe man „jedem uns angezeigten Verstoß natürlich nach“, so Präses Kröger, jedoch würden Verstöße nur selten angezeigt. Zusätzlich litten die Kammern unter der schlechten Ausstattung der Berufsschulen, deren Verbesserung auch die Bertelsmann-Studie fordert.

Auch Finn H., einer der wenigen, der sein Uni-Studium zugunsten einer Ausbildung als Technischer Modellbauer aufgegeben hat, bemängelt, dass Berufsschulen und Betriebe nicht ausreichend geprüft würden. In seiner Ausbildung hätte er sich erst an ein raues Klima gewöhnen müssen: „Das geht von rassistischen Äußerungen bis hin zu konsequentem Fertigmachen. Und das von jemandem mit einem Ausbilderschein. Das spricht sich rum, und es spricht auch für das Handwerk“, sagt der 25-Jährige.

Die Betriebe müssten sich in Zukunft anders aufstellen, um junge Leute für eine Ausbildung zu begeistern, so Thieß. Bis zu 600 offene Stellen könnten im Hamburger Handwerk nicht passend besetzt werden. Das verstärke den Druck auf die Betriebe, ihre Ausbildungsqualität weiterzuentwickeln und ihre Darstellung nach außen zu verbessern – zum Beispiel durch Image-Kampagnen oder bessere Internet-Auftritte. Auch Dräger von der Bertelsmann-Stiftung rät: „Betriebe sollten neue Wege der Bewerberansprache einschlagen, sich verstärkt neuen Zielgruppen öffnen und in unattraktiven Berufen die Rahmenbedingungen verbessern.“