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: Erdoğan trifft Papst Franziskus im Vatikan

Fünfzig Minuten dauerte die Audienz. Aber worüber spricht ein türkischer Regierungschefmit dem Pontifex? Über Weltpolitik natürlich – und am Ende geht es auch um schöne Bilder

Das Neue

Zum ersten Mal seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1960 reist ein türkischer Regierungschef in den Vatikan. Es ist nicht das erste Aufeinandertreffen. Bereits 2014 besuchte Papst Franziskus den türkischen Staatspräsidenten in seinem Regierungspalais in Ankara. Statt der vorgesehenen 20 Minuten soll die Audienz am Montag laut italienischen Medienberichten 50 Minuten gedauert haben. Doch allein für eine knappe Stunde Papst würde der türkische Regierungschef sich wohl nicht nach Italien begeben: Treffen mit Regierungschef Gentiloni und Staatspräsident Mattarella sowie mit führenden Wirtschaftsbossen standen ebenfalls auf der Agenda.

Der Kontext

Ist das Treffen also als eine Art Gegenbesuch für 2014 zu interpretieren? Eher nicht. Vor seinem Besuch in Rom erklärte Erdoğan in der italienischen Zeitung La Stampa, dass der wichtigste Gesprächspunkt Jerusalem sei. Die Ablehnung des Vorstoßes von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem zur Hauptstadt von Israel erklären zu wollen, sie einte die beiden Männer in der damaligen, hitzigen Debatte auf eine ungewöhnliche Art. Der jetzige Status quo der multireligiösen Stadt, so waren sich der Papst und Erdoğan einig, solle beibehalten werden. Aber es geht natürlich um mehr. Seit dem letzten Treffen befindet sich die Türkei im Ausnahmezustand, nirgendwo sonst sind mehr Journalisten in Haft, darunter der taz-Kollege und derzeitige Welt-Türkei-Korrespondent Deniz Yücel. Die seit zwei Wochen andauernde Militäroperation im syrischen Afrin sowie die Repressionswellen gegen die Opposition im eigenen Land, all das könnten Gesprächsthemen hinter verschlossenen Türen gewesen sein. Auch wirbt Erdoğan bei seinem Besuch laut La Stampa-Interview erneut für eine Vollmitgliedschaft in der EU und für eine Rückkehr zu den freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Italien.

Die Reaktionen

Ausnahmezustand to go, so könnte man den Besuch werten. 3.500 Polizeikräfte mehr als gewöhnlich waren im Einsatz, an mehreren Orten in der Stadt wurde ein Demonstrationsverbot verhängt. Zwei Demonstranten wurden bei einer Mahnwache des kurdischen Netzwerks „Rete Kurdistan“ unweit des Petersdoms festgenommen.

Die Konsequenz

Keine unmittelbare. Dem türkischen Regierungschef geht es in erster Linie um Publicity. Erdoğans Politik, sie ist auch geprägt von der Idee einer Vorreiterrolle für die islamische Welt. In etwa so: Staatsmann trifft Oberhaupt der christlichen Welt auf Augenhöhe. Die Vorgabe der türkischen Außenpolitik für 2018 und darüber hinaus lautet, die Politik des Gezeters hinter sich zu lassen. Die wirren Reden zur „Kreuzfahrermentalität“ der Europäer, sie scheinen zumindest in den Reihen der AKP vergessen. Die Regierung braucht dringend schöne Bilder, auf denen die beiden Männer die Weltlage besprechen – denn besser kann die Militäroperation und die kriselnde Wirtschaft nicht weggelächelt werden. Ebru Taşdemir