Bühnenbilder der Illusion

Der gebürtige Wilhelmshavener David Borgmann ist der aktuelle Preisträger des Nordwestkunstpreises. Für die dazugehörige Ausstellung kehrt er in seine Geburtsstadt zurück und wirft alle konventionellen Bildkonventionen über den Haufen

Minimalistisch und doch verwirrend: Der Maler David Borgmann sprengt räumliche Konventionen, hier mit einer runden Leinwand (o.T. (ST34), 2017) Foto: Lars-Ole Bastar, Roman Häbler / Kunsthalle Wilhelmshaven

Von Radek Krolczyk

Meistens dann, wenn Motive einfach und klar erscheinen, sind sie es am wenigsten. Diese Erfahrung macht man beim Besuch der derzeitigen Ausstellung der Kunsthalle Wilhelmshaven. Dort läuft gerade eine Einzelshow des jungen Malers David Borgmann. Der 34-Jährige hatte im vergangenen Jahr den Nordwestkunstpreis gewonnen, der vom Verein der Kunstfreunde für Wilhelmshaven alle zwei Jahre verliehen wird.

Borgmanns Bilder zeigen in ihrer sehr starken malerischen Reduktion im Grunde die immerselbe Sache: einfarbige, glatte Flächen und ruhige Strukturen sind zu Landschaften angeordnet. Zu sehen sind auf den meist großformatigen Leinwänden: nächtliche Szenen am Meer, kahle Felsen, dunkler Himmel, noch dunkleres Meer.

Manchmal ist im Bildvordergrund ein kleines Pflänzchen platziert. Im Gegensatz zum Rest der Umgebung, ist die Farbe hier nicht massiv, sondern fast gestisch aufgetragen. Es wirkt wie eine mögliche Bruchstelle, viel Hoffnung entfaltet es aber nicht. Dem gegenüber steht gleich einem großen Versprechen der Titel der Ausstellung: „It will also change“. Denn nicht nur die Pflanzen haben es schwer in Borgmanns Welten, Menschen oder Tiere gibt es gar nicht.

Möglicherweise sind sie vor einer ganzen Weile schon verschwunden, möglicherweise konnten sie sich gar nicht erst entwickeln. Zu unwirtlich erscheint diese Umgebung – zu kalt, zu finster und zu leer. Auch wenn es keinerlei Anzeichen für vergangene oder gerade vergehende Gesellschaften gibt, handelt es sich hier um ein Bildvokabular, das der Dystopie näher ist, als der Erzählung von der Entdeckung unberührter Natur. Das liegt an der Wucht der dunklen Farben, an der Dramatik die entsteht, wenn sie sich voreinander schieben oder aneinander knallen.

Nur bleiben sowohl Farben als auch Naturformationen ganz selbstgenügsam. Eine Metaphorik, wie in der deutschen Romantik, die ein Eismeer zeigt und gesellschaftliche Stagnation meint, ist in Borgmanns Bildern eher nicht enthalten.

David Borgmann, geboren in Wilhelmshaven hat zunächst an der Hochschule für Künste in Bremen studiert und ist dann zusammen mit seiner Professorin Karin Kneffel nach München gewechselt. Sein Diplom hat Borgmann in Leipzig absolviert, wo er zur Zeit auch lebt und arbeitet. Den Titel der Ausstellung in Wilhelmshaven hat Borgmann selber vorgeschlagen. Denn er sagt, dass das Objekt seiner malerischen Erforschung im Fluss sei. Und somit könne seine Malerei eine Art Durchgangsstation sein.

So unwirtlich Borgmanns Landschaften zu sein scheinen, so unwirklich sind sie auch. Dabei sind sie auf die Grundelemente reduziert. Was bliebe von der Welt, wenn auch noch Felsen, Meer und Himmel verschwinden würden? Wahrscheinlich nichts. Das Falsche ist man gewohnt in der Form von Dekor zu denken, als eine täuschende Hülle, als Requisite oder Verkleidung.

In Borgmanns Bildern ist nichts Zeitliches und nichts Soziales. Es gibt nur eine Tages- und auch nur eine Jahreszeit. Der Mensch hat diese Natur nicht gemacht, sie ist wohl ganz von selbst so geworden und wird für immer bleiben. Dies ist zumindest der Eindruck, der sich beim Betrachten einstellt.

Was aber, wenn dieser letzte Grund nur Requisite ist? Dann ist die ganze Welt bis in ihre grundlegendsten Bestandteile bloß eine Inszenierung. Die Dramatik, die entsteht, wenn auf diesen Leinwänden die Farbflächen aneinander stoßen, verweist eben auch auf die Illusion eines Szenenbildes – sei es im Film oder im Theater. Tatsächlich sieht man an den Rändern mancher Bilder Vorhänge, die so massiv wirken, wie Felsen. Und Felsen, die so leicht und durchscheinend wirken, als wären sie Vorhänge.

Als Bühnenbilder wiederum sind diese Landschaften ganz und gar von Menschen gemacht. Bedrohlich ist der Gedanke, dass hinter diesen Bühnenbildern nichts Weiteres zu finden wäre. Bedrohlich, weil das Nichts nicht denkbar ist. Zu versuchen, das nichts zu denken, stellt schließlich die eigene Existenz in Frage.

Die Dramatik, die entsteht, wenn auf David Borgmanns Leinwänden die Farbflächen aneinander stoßen, verweist eben auch auf die Illusion eines Szenenbildes – sei es im Film oder im Theater

In der Wilhelmshavener Ausstellung ist ein Bild zu sehen, das den Bezug zum Theater, zum Bühnenraum selbst thematisiert. Felsen, Himmel und Meer sind darauf zur Innenansicht eines Kubus angeordnet. Ihre Kanten schließen sauber miteinander ab. Der dargestellte Raum wirkt wie die Übererfüllung eines Bühnenbildes. Geht man von der Malerei aus, sind die perspektivisch zusammengefügten fünf Flächen, drei Seiten, Boden und Decke, eine Art umgekehrter Shaped Canvas, eine gestaltete Leinwand: nicht die Form der Motive bestimmen die Form der Wände – die Funktion bestimmt ganz im Gegenteil die Form der Motive. Ein einfaches, klassisches Bühnenbild fürs Theater ist eine auf Leinwand gemalte Landschaft. Warum nicht eine reduzierte, mit wenig mehr als Felsen, Meer und Himmel? Völlig trostlos, völlig finster.

Eine weitere Form der Derealisierung dieser Landschaften ist ihr digitaler Anteil. Nicht dass Borgmann die Motive seiner Bilder programmiert und sie selbst bedruckt hätte. Aber gewisse Aspekte verweisen durchaus auf eine digitale Genese. Da wären die beinahe monochromen Flächen, die den Himmel bilden. Man sieht kaum Spuren, die auf einen manuellen malerischen Entstehungsprozess verweisen. Kaum Pinselstriche sind zu erkennen, die Lichtverläufe sind fließend.

Die Strukturen der Felsen, oder auch mancher Pflanzen hingegen treten stark hervor. Allerdings entwickeln sie sich nicht als Topografie, sondern als Textur. Es scheinen immer wieder dieselben Fragmente zu sein, aus denen eine Felswand sich zusammensetzt. Wie eine digitale Collage vielleicht. Eines der ausgestellten Bilder hat an den Rändern ein Raster, wie man es in Grafikprogrammen verwendet. Es scheint schließlich so, als sei selbst das am meisten Manifeste inszeniert.

Die Ausstellung „It will also change“ ist bis zum 11. März zu sehen.

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘ in Bremen.