Mögen die Beziehungen sich normalisieren

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz zeigt sich: Die Freilassung von Deniz Yücel ist Balsam für das deutsch-türkische Verhältnis – und ein Coup von Sigmar Gabriel, der Außenminister bleiben möchte

Handshake unter Außenministern: Gabriel und Çavuşoğlu in München Foto: Florian Gärtner/imago

Aus München und Berlin Pascal Beucker
, Tobias Schulze
und Ulrich Schulte

Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo) 2018 ist die Bühne für Sigmar Gabriel und seinen großen Coup. Auch wenn sich der geschäftsführende Außenminister zumindest an diesem Samstag alle Mühe gibt, diesen Eindruck zu vermeiden, klar ist: Die Freilassung des deutschen Journalisten Deniz Yücel, die am Freitag bekannt wurde, ist seine – Gabriels – diplomatische Leistung. Eine, die die ramponierten deutsch-türkischen ­Beziehungen in ein Vorher und Nachher teilen könnte, die Nazivergleiche und Wahlkampfeinmischungen vergessen machen soll und nun die ­Möglichkeit lässt, über neue Kooperationen zwischen Berlin und Ankara zu reden.

Als Gabriel am Samstagvormittag den Festsaal des Bayerischen Hofs betritt, ist davon aber nicht die Rede. Eine halbe Stunde spricht Gabriel über das große Weltgeschehen. Über die Welt am Abgrund, über die Gefahren für die EU, über den Wert der Verlässlichkeit in der internationalen Politik.

Es ist ein sorgsam ausgefeilter Wortbeitrag mit etlichen schönen Merksätzen fürs politische Poesiealbum. Jede Formulierung sitzt. Wenn sich Gabriel, für ihn äußerst ungewöhnlich, nicht immer wieder kleinere Versprecher und Verhaspler leisten würde. Gleichwohl ist seine Botschaft unüberhörbar: In solch unsicheren Zeiten bedarf es besonnener Politiker, wie er einer ist.

Mit keinem Wort erwähnt Gabriel in seiner Rede jenes Ereignis, durch das er Zeit verloren hat, diese Rede ausreichend zu üben: die Freilassung Yücels in der Türkei. Stattdessen gibt er sich alle Mühe, als formidabler Staatsmann zu erscheinen, der das große Ganze im Blick hat. Seriös, kompetent, erfahren – das ist das Bild, das er von sich zeichnen will.

Eine perfekte Inszenierung

Selbst als ihn Tagungsleiter Wolfgang Ischinger anschließend auf dem Podium doch noch auf die Causa Yücel anspricht, gibt sich Gabriel zurückhaltend, verweist auf die fünf Deutschen, die immer noch in türkischen Gefängnissen sitzen. „Wir müssen, glaube ich, dieses Momentum nutzen jetzt, alle Gesprächsformate wieder zu beleben mit der Türkei – wissend, dass das nicht einfach wird, wissend, dass das nicht von heute auf morgen zu ganz einfachen Zeiten führt“, sagt er diplomatisch. Es soll gar nicht erst der Eindruck aufkommen, der Sozialdemokrat würde seinen großen Erfolg auskosten.

Das hat Gabriel bereits am Vortag zur Genüge getan: mit seinem Statement am Eingang des Bayerischen Hofs kurz vor Konferenzbeginn, seinem Abstecher zur Süddeutschen Zeitung und schließlich seinem Auftritt am Freitagnachmittag im Newsroom der Welt mit Chefredakteur Ulf Poschardt und Springer-Verlagschef Mathias Döpfner. Eine perfekte Inszenierung, mit einer eindeutigen Botschaft: Ich habe das geschafft! Gabriel weiß, dass die gute Nachricht aus Istanbul ihm den Job retten könnte. Er muss aber aufpassen, nicht zu überziehen. Denn das Verhältnis zur Türkei bleibt äußerst heikel. Entsprechend nachdrücklich betont er, dass es keinerlei „Deals“ mit der türkischen Regierung gegeben habe. Außerdem müsse mit ihr auch weiterhin über „schwierige Fragen“ wie Menschenrechte, Pressefreiheit und den Aufbau einer unabhängigen Justiz gesprochen werden.

Doch daran hat die Türkei nach wie vor kein sonderliches Interesse. Bei seinem Auftritt auf der SiKo beschied Ministerpräsident Binali Yildırım einen kritisch nachfragenden Bundestagsabgeordneten kühl: „Niemand hat das Recht, die Rechtsstaatlichkeit eines anderen Landes infrage zu stellen.“ Den Vorwurf, immer noch seien mehr als 150 Journalisten in der Türkei inhaftiert, konterte er mit dem Hinweis, in deutschen Gefängnissen säßen ja auch 3.063 Menschen aus der Türkei – und dafür gebe es wohl ebenso gute Gründe.

14. Februar 2017 Der frühere taz-Kollege und derzeitige Welt-Korrespondent in der Türkei, Deniz Yücel, meldet sich freiwillig bei der türkischen Polizei. Er hatte mehrfach kritisch über die Politik der Erdoğan-Regierung berichtet.

27. Februar 2017 Nach knapp zwei Wochen Untersuchungshaft wird Deniz offiziell verhaftet und ins Gefängnis Silivri gebracht. Die Vorwürfe: Terrorpropaganda und Volksverhetzung.

Februar 2018 In 367 Tagen Haft ist Deniz nicht untätig: Er schreibt. Mit taz-Kollegin Doris Akrap veröffentlichte er im Februar 2018 seine Texte als Buch („Wir sind ja nicht zum Spaß hier“, Nautilus Verlag). Kurz darauf, am 16. Februar, darf er das Gefängnis – und die Türkei – verlassen. Mit seiner Frau Dilek und mehreren Freunden genießt er die Freiheit zunächst einmal außerhalb Deutschlands.

28. Juni 2018 Dies ist laut Anklageschrift der Termin für die erste Gerichtsverhandlung. Es werden 18 Jahre Haft gefordert.

Wie angespannt die deutsch-türkischen Beziehungen weiterhin sind, zeigt auch eine kleine Episode am Rande der SiKo: Die türkische Delegation beschwerte sich bei der Münchner Polizei darüber, mit einem „Terroristen“ im gleichen Hotel untergebracht worden zu sein. Gemeint war der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir. Die Polizei stellte Özdemir daraufhin unter Personenschutz. „Entspannung gibt es nur in den Träumen der großen Koalition“, kommentierte der frühere Grünen-Vorsitzende den Vorfall, den die türkische Seite allerdings dementiert.

Bei seinen Gesprächen mit der Bundesregierung bemühte sich Regierungschef Binali Yıldırım dagegen um eine Verbesserung des Verhältnisses zu Deutschland. „Einzelfälle wie der von Deniz Yücel sind nicht in der Lage, unsere Beziehungen zu stören oder gänzlich zu zerstören“, sagte Yıldırım am Rande der SiKo der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er hoffe darauf, dass nach der Freilassung Yücels die Reisehinweise des Auswärtigen Amts für die Türkei wieder entschärft werden. Besonderes Interesse hat Ankara an einer stärkeren Rüstungskooperationen.

So wünschte sich Yıldırim ausdrücklich eine deutsche Beteiligung am geplanten Bau des türkischen Kampfpanzers „Altay“. Es wäre nach den „Leopard“-Deals der Vergangenheit ein weiteres Zeichen der Entspannung. 1.000 solcher „Altay“-Panzer will Ankara in deutsch-türkischer Koproduktion herstellen. Maschinen aus Deutschland, einfache Teile aus der Türkei. Dafür ist aber die Zustimmung der Bundesregierung nötig.

Vielleicht ist auch damit der Deutschlandbesuch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu erklären, den Yıldırım zudem ankündigte. „Wenn die Regierung gebildet ist, wird es natürlich auf höchster Ebene Besuche geben“, sagte er. „Präsident Erdoğan wird kommen und Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, wird in die Türkei kommen.“ Auch die Außenminister würden sich noch häufiger treffen.

Ob dann der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu seinen „Freund“ Gabriel wiedertreffen wird, ist allerdings offen. Trotz des Einsatzes des ­Sozialdemokraten: Seine Version der Ereignisse durfte er in der SüddeutschenZeitung darlegen: Nach dieser haben er und sein Kumpel Gerhard Schröder Deniz Yücel nach 367 Tagen aus dem türkischen Knast geholt, auch nach geheimen Treffen mit Erdoğan in Rom. Am 4. Februar hat der Außenminister mehr als zwei Stunden lang mit dem türkischen Präsidenten im Hotel Excelsior verhandelt, vorher hatte bereits Ex-Kanzler Schröder – auf Ga­briels Wunsch und mit Merkels Zustimmung – auf Erdoğan eingewirkt. ­Mehrmals war Schröder in der Türkei auf ge­heimer Mission – zuletzt im ­Januar. Seine Botschaft: Ohne die Freilassung Yücels werde es keine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen geben. Ob und welche Gegenleistung er dafür anbot, ist jedoch unklar.

Momentan sieht der Coup nach einem Glücksfall für Gabriel aus. Doch reicht das aus, um auch Außenminister zu bleiben?

Vor fast zwei Wochen schien Ga­briel schon erledigt. Unsanft hatte ihn die SPD-Spitze ins Abseits gestellt und zu seiner Empörung nicht in ihrer Kabinettsliste berücksichtigt. Beleidigt schoss er öffentlich gegen den damals noch amtierenden Parteichef Martin Schulz, der beschlossen hatte, ihn als Außenminister zu beerben. Nach dessen freiwillig-unfreiwilligem Rückzug wittert Gabriel nun wieder die Chance, vielleicht doch im Amt zu verbleiben.

Es ist nicht so, dass Gabriel keine FürsprecherInnen mehr hätte. Der parteirechte Seeheimer Kreis hält zu ihm, auch Parteilinke wie Gesine Schwan, die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission. Auch der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer sprach sich für seinen Verbleib im Amt aus. Nach der Freilassung Yücels gebe „es noch weniger Grund, Gabriel abzulösen“, sagte Schäfer dem Tagesspiegel. „Die SPD hat niemand Besseren für das Außenamt.“

Das werden sie wohl auch in der Türkei so sehen. Zu Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hat Gabriel nun einen guten Draht. Als die türkische Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch begann, zunehmend auch deutsche StaatsbürgerInnen festzunehmen, fühlte sich das in Berlin wie Geiselnahmen an. Deutschland hatte türkische Militärs und anderen mutmaßlichen Anhänger der Gülen-Bewegung Schutz gewährt. Die türkische Regierung forderte mehrfach die Auslieferung, Berlin verwies auf die Gerichte. Eine Sackgasse, aus der sich mit der Freilassung Yücels möglicherweise ein Ausweg eröffnet. Kein schlechtes Argument für den Verbleib Gabriels im Amt.

Das findet zumindest Gabriel. Auf der Sicherheitskonferenz sagte er über den weiteren Umgang mit der Türkei: „Ich kenne keine andere Methode, als gute Situationen zu nutzen, um die besseren anzusteuern.“ Man kann das als eine Bewerbung verstehen: Mit ihm als Außenminister werde sich das deutsch-türkische Verhältnis weiter verbessern. Der Satz passt allerdings ebenso gut auf den politischen Überlebenskampf, den er gerade führt. Ausgang offen.