Putin legt noch einen drauf

76 Prozent der Wähler stimmen für Russlands alten und neuen Präsidenten. Mit knapp 70 Prozent passt auch die Wahlbeteiligung. Die Fragen nach Putins Zukunft haben schon begonnen. Per Verfassungsänderung auf Lebenszeit im Amt?

Weitere sechs Jahre im Amt sind ihm sicher: Präsident Wladimir Putin Foto: Grigory Dukor/reuters

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Beim ersten Augenaufschlag am Montagmorgen war es klar. Wladimir Putin hatte zwischen ein Uhr nachts und sechs Uhr in der Früh nicht nur eine Spitzenleistung vollbracht. Er hatte sich auch von dem Makel befreien können, nur ein moderates Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl erzielt zu haben. 60 Prozent waren es vor dem Nickerchen, beim Aufstehen trumpfte der Kremlchef so richtig auf. 67 Prozent Wahlbeteiligung und 76 Prozent der Wähler stimmten für ihn als Präsidenten. Bei seiner vierten Wahl legte Wladimir Putin das beste Ergebnis aller Zeiten hin.

Die Wahlen waren alles andere als frei und fair. Bei den Wahlbeobachtern der russischen Nichtregierungsorganisation Golos gingen mehr als 2.900 Berichte ein, die Verstöße gegen das Wahlreglement meldeten. Schon im Vorfeld sammelten die Beobachter Beschwerden über mannigfache Versuche, die Wähler an die Urnen zu bringen.

Auf der Golos-Website ist ein Video zu sehen, wo ein Wahlbeobachter des demokratischen Kandidaten Grigori Jawlinski vergeblich versucht, die Leiterin eines Wahllokals in Krasnodar zu bewegen, ihm eine Kopie des Protokolls auszuhändigen. Das sieht das Prozedere vor. Andere Mitschnitte zeigen, wie in entscheidenden Momenten Luftballons in den Farben Russlands plötzlich die Überwachung der Videokameras verdecken.

Änderungen beanstandete Golos auch bei der Registrierung von Wählern in letzter Minute. Diese Eingriffe könnten die hohe Wahlbeteiligung erklären. Vor den Wahlen hatten sich Beschwerden gehäuft, denen zufolge sich auch Mitarbeiter im Staatsdienst, großer Unternehmen und Studenten beklagten, auf sie werde Druck ausgeübt zur Wahl zu gehen. Der Urnengang in geschlossenen Formationen war ein verbreitetes Bild vor Wahllokalen am Sonntag.

Die Vorsitzende des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, lobte die Abstimmung als fair. „Die Wahl hat einmal mehr gezeigt, dass unser Volk nicht manipuliert werden kann“, sagte die Putin-Vertraute. Kein anderes Land der Welt habe so offene und transparente Wahlen, meinte sie.

Die hohe Wahlbeteiligung war eine Überraschung. Im Vorfeld befürchtete der Kreml, die angepeilte Zustimmung, die einem Plebiszit für Wladimir Putin gleichkommen sollte, nicht erreichen zu können. Von 70 Prozent Beteiligung setzten die Polittechnologen die Marke auf 65 Prozent herunter. Der Politologe Nikolai Petrow von der Higher School Of Economics in Moskau meint, die Annexion der Krim und die sich zuspitzende Konfrontation mit dem Westen führe dazu, dass eine so hohe Legitimation für den Kremlchef gar nicht mehr vonnöten sei.

Bei den russischen Wahlbeobachtern von Golos gingen mehr als 2.900 Berichte über Verstöße ein

Bemerkenswert ist, dass Wladimir Putin nur als Außenpolitiker in die Wahl ging. Seiner Website war kein Programm zu entnehmen. Dort empfiehlt er sich mit dem Slogan „ein starker Präsident – ein starkes Russland“. Die Rede an die Nation vor zwei Wochen stellte Moskaus vermeintlich modernisierte atomare Verteidigungsbereitschaft und Angriffsfähigkeit in den Mittelpunkt.

Darüber hinaus „erhöhten auch die Briten die Wahlbeteiligung“, schrieb die Zeitung Nesawissimaja Gaseta. Londons Vermutung, Moskau stünde hinter dem Anschlag auf den russischen Doppelagenten Skripal und die Ausweisung russischer Diplomaten lösten einen typischen russischen Reflex aus: Alle sind gegen uns, signalisiert das Stimmungsbild. Die Menschen sammeln sich reflexartig um den „nationalen leader“. Das traf ein wie programmiert.

Russland zerfällt jetzt in zwei Abschnitte Front und Hinterland, kommentierte der Publizist Oleg Kaschin. Der Austausch mit dem Westen dürfte noch schärfer und unvorhersehbarer werden.

Die Wahl sei in bester, sowjetischer Tradition veranstaltet worden, „nur mit moderner Technologie“, meinte Konstantin Kolatschew von der politischen Expertengruppe in Moskau.

Putin tritt das Amt bis zum Jahr 2024 an. Danach verbietet die Verfassung eine weitere Kandidatur. Mindestens eine Amtszeit müsste der Kremlchef in eine andere Funktion wechseln. Das hatte er schon zwischen 2008 und 2012 mit Präsident Dmitrij Medwedjew durchexerziert. Auf eine Frage, was er vorhabe, wenn die laufende Amtszeit 2024 auslaufe, reagierte der Kremlchef ungehalten. „Glauben Sie, dass ich hier sitze bis ich 100 bin?“, fragte Putin zurück. „Das ist lächerlich.“

Für die russische Elite ist dies keine banale Überlegung. Wird der Kremlchef die Verfassung ändern? Wird sich für ihn ein Amt finden lassen, das die Befugnisse nicht schmälert?

Ein Tag nach der Wahl beginnen die Fragen nach der Zukunft des alten und neuen Präsidenten. Könnte er sogar echte Wahlen zulassen, wenn ihm und seiner Entourage Immunität zugesichert würde?

Wird er weiter nach einem Nachfolger suchen, den die Eliten als Schiedsrichter akzeptieren können? Alle Varianten sind mit Risiken verknüpft. Wladimir Putin dürfte daher mit einer Entscheidung bis zum letzten Moment warten.

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