Tierisch neidisch

Ob Tiere Neid empfinden können, ist unter Wissenschaftlern umstritten.
Die Schimpansen und Paviane im Berliner Zoo interessiert das nicht. Ein Besuch

Fotos: Ralf Klever

Von Felix Tschon
und Azada Hassany

Soko schaut auf Karel. Neidisch? Der Zoomitarbeiter Tobias Rahde steht vor dem Gehege der beiden Schimpansen und winkt Karel. Rahde ist Kurator des Zoologischen Gartens, die Affen kennen ihn gut. Karel erwidert den Gruß mit greifartigen Bewegungen der Affenhand. Er kommt einige Schritte vor, drückt erst das Gesicht gegen die Panzerglasscheibe, dann einen Finger. Auch Rahde drückt einen Finger an das Glas.

„Karel liebt Schuhe“, sagt er und hält seinen Schuh an die Scheibe. Das Tier greift danach. Ein zweiter Affe, Soko, beobachtet das aus dem Hintergrund. Dann traut sich die Schimpansin – die am unteren Ende der Hierarchie des Geheges steht, wie Rahde erzählt – und rückt vor, in sein Blickfeld. Sie versucht, Rahde mit menschenähnlichen Gesten in eine andere Ecke ihrer Behausung zu lotsen.

Die Frage, ob Primaten Neid empfinden, ist in der Wissenschaft umstritten. Die beiden Forscher Sarah Brosnan und Frans de Waal vom US-Institut Living Links behaupteten in der Fachzeitschrift nature bereits 2003, dass Affen neidisch sein können. Sie untermauerten ihre These durch ein Experiment: Kapuzineraffen wurde ein Stein gegeben – gaben sie den zurück, bekamen sie eine Belohnung. Bekamen zwei Testtiere je ein Stück Gurke, gaben sich beide zufrieden; bekam eins aber eine Traube, gab das andere die Gurke zurück. 2011 zeigte de Waal im Rahmen der TED (Technology, Entertainment, Design)-Konferenz ein Video der schwungvoll geworfenen Retoure. Auf YouTube hat es mittlerweile über 13,5 Millionen Klicks.

Auch Rahde sagt: „Ich habe den Eindruck, dass Tiere durchaus neidisch sein können.“ Wer sind die größten Neider im Berliner Zoo? „Die Paviane“, meint Rahde. „Sie haben den passenden Gesichtsausdruck für Neid.“

Auf dem Felsen der Mantelpaviane flitzt ein Männchen – ein sogenannter „Pascha“ – entlang, gefolgt von drei Weibchen. Ein Junges klammert sich an die Brust seiner Mutter. Sie schützt es vor den anderen Weibchen. Zu Recht, denn die Jungtiere spielen eine zentrale Rolle, wenn es um Neid geht. Gelegentlich versuchen Weibchen, den Nachwuchs anderer zu klauen und so in der Hierarchie aufzusteigen.

Dieser Akt des Neids geht in freier Wildbahn oft tödlich aus. Jungtiere sterben, weil sie im Kampf zwischen rivalisierenden Weibchen hin- und hergerissen werden. Eine „relativ destruktive“ Art des Neides, sagt Rahde.

Im Berliner Zoo gehe es milder zu. Auch hier würden Jungtiere geraubt, aber nach kurzer Zeit zurückgeholt. Rahde wird von einem lauten Kreischen unterbrochen. Eine klare Drohgebärde des Paschas, der eine letzte Show auf dem Felsen vorführt, bevor sich die Paviane in ihr Revier zurückziehen.

Anders als ihre US-Kollegen kamen Forscher des Instituts für Evolutionäre Anthropologie der Max-Planck-Gesellschaft um den Psychologen Jan Engelmann zu dem Ergebnis, dass Primaten zwar keinen Neid empfinden, aber Enttäuschung. In ihrem Experiment erfüllten Schimpansen dieselbe Aufgabe und wurden mit ihrem Lieblingsfutter belohnt. Die Futtermenge wurde dann ungleich verteilt. Engelmann beobachtete, dass die Affen gegenüber ihresgleichen zwar keine Reaktion zeigten. Gegenüber ihren menschlichen Bezugspersonen hingegen reagierten die Affen deutlich: warfen Werkzeug durch den Raum oder zogen sich zurück.

Engelmann und seine Kollegen schlussfolgerten: Die Primaten könnten Erwartungen haben und enttäuscht sein. Anders als bei Enttäuschung müsse ein Lebewesen für Neid jedoch in der Lage sein, sich direkt mit anderen zu vergleichen. Diese kognitive Leistung könnten Affen allerdings nicht erbringen, so die Forscher der Max-Planck-Gesellschaft.

Wie schwierig es ist, zwischen Neid und Enttäuschung zu unterscheiden, zeigt sich auch im Berliner Zoo. Dort steht Rahde vor dem Gehege und Soko winkt ihn zu sich. Als er sich ihr zuwendet, stürmt Karel in die Ecke und vertreibt sie. Er setzt sich vor Rahde und berührt die Scheibe dort, wo der Kurator seine Hand hin hält.

Soko geht, setzt sich auf den Boden, krümmt sich und schaut auf Karel. Ist das nun Neid? Rahde hält das für möglich, generell scheine es aber weniger Neid unter Tieren zu geben als unter Menschen.

Fotos: Azada Hassany

Ein Pfleger kommt mit Nahrung vorbei. Die Schimpansen werden nervös, laufen hin und her. Auch Soko verliert das Interesse an Karel und Rahde. Es gibt Paprika, Lauch und gekochte Kartoffeln. Würde einer nun nur Lauch oder Paprika bekommen, gäbe es wohl Probleme. „Kartoffeln sind schon sehr begehrt“, sagt Rahde. Von Obst gar nicht zu sprechen – ein Leckerbissen sei das für die Schimpansen.

Es geht friedlich zu bei der Fütterung. Jeder weiß, dass er etwas bekommt, gerecht behandelt wird. „Wenn die Tiere gelassener neidisch sind, bin ich darauf neidisch“, sagt der Kurator.