Sachsen wird zum Wolfsland

Im ostdeutschen Freistaat leben die einzig bekannten deutschen Wölfe in freier Wildbahn. Jetzt gab es weiteren Nachwuchs. Der ist aber nur selten zu sehen – weshalb die Menschen gelassen bleiben

VON GUDRUN LUX

150 Jahre lang galt Deutschland als nahezu wolfsfrei. Lediglich einige Einwanderer aus dem Osten wurden gelegentlich gesichtet – und fielen meist Autos, Eisenbahnen und Schrotflinten zum Opfer. Jetzt werden die märchenerprobten Tiere wieder heimisch bei uns: Bereits das zweite Rudel hat sich in der Lausitz angesiedelt.

Fünf Wolfswelpen wurden Ende August von Forscherinnen in der Muskauer Heide gesichtet. Das ist bereits der zweite Wurf, den die Lausitz in diesem Jahr verzeichnet. Im Frühjahr wurden in der benachbarten Neustädter Heide fünf Welpen gesichtet – die Nichten und Neffen des jetzt entdeckten Wurfes.

1996 hatte sich erstmals eine Wölfin über die grüne Grenze von Polen in die Lausitz abgesetzt. Zwei Jahre später folgte ein Männchen, die beiden wurden ein Paar und bekamen 2000 erstmals Nachwuchs auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz. Seither wurden die beiden Altwölfe in der Muskauer Heide jährlich mit Kindersegen bedacht. Eine Tochter des Wolfspaares wanderte weiter nach Westen und wurde in der Neustädter Heide heimisch.

Dort fand sie einen vermutlich wie ihre Eltern aus Polen eingewanderten Partner, mit dem sie im Mai ein neues echtes Wolfsrudel gründete. Sie hatte nämlich vorher schon einmal geworfen – da allerdings war der Herr Papa ein gewöhnlicher Haushund. Die Mischlingswölfe wurden eingefangen und sind, obwohl grundsätzlich lebens- und zeugungsfähig, mittlerweile alle gestorben. Zuletzt musste ein Weibchen in einem Gehege im Naturpark Bayerischer Wald eingeschläfert werden.

Die Wölfin in der Neustädter Heide trägt einen Peilsender, deshalb wurden ihre Welpen schon bald nach der Geburt gesichtet – bei der Wölfin in der Muskauer Heide gelang erst Ende August der Nachweis, dass sie auch in diesem Jahr wieder geworfen hatte – zum sechsten Mal in Folge. Damit stabilisiert sich die Wolfspopulation in Sachsen. Die Tiere sind die bislang einzigen bekannten frei lebenden Wölfe in Deutschland. Im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet werden zwar immer wieder Wolfsspuren gefunden. Gesehen hat die Tiere aber noch niemand.

„Der Wolf ist ein äußerst scheues Wildtier und ein gesunder Wolf ist völlig ungefährlich für den Menschen“, sagt Forstwirtin Jana Schellenberger vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz. Auch in Sachsen hat kaum jemand mal einen zu Gesicht bekommen. Möglicherweise deshalb reagieren die Menschen im Freistaat auf ihre neuen Mitbewohner „ganz entspannt“, sagt Schellenberger. Obwohl sie wüssten, dass bereits seit Jahren Wölfe in der Lausitz leben.

Zudem haben sich die Tiere in militärischen Sperrgebieten angesiedelt, zu denen der Zivilbevölkerung der Zutritt verboten ist. Und die Soldaten schießen nur im Zentrum des Truppenübungsplatzes – die Wölfe aber leben im Waldgürtel, einer Art Pufferzone. Bei der Armee hat offenbar keiner was gegen die tierischen Kameraden – sie finden gar Erwähnung auf der Homepage des Truppenübungsplatzes.

16 Wölfe leben jetzt nachweislich in Ostsachsen – die beiden Elternpaare mit jeweils fünf in diesem Jahr geborenen Welpen, außerdem leben zwei Jährlinge bei dem älteren Paar in der Muskauer Heide. 13 weitere Wölfe, die seit 2000 auf dem Truppenübungsplatz geboren wurden, sind unbekannt verzogen – vielleicht zurück nach Polen.