HAMBURGER SZENE VON AMADEUS ULRICH
: Plötzlich ein Kind

Es gibt Menschen, die wollen auffallen. Dies tun sie meist in der U-Bahn, so wie letzten Freitag: Ein Mädchen spricht so laut, dass jeder im Abteil und wahrscheinlich noch die Fahrgäste einen Waggon weiter sie hören können. Ich sehe sie nur verschwommen im Fenster, will mich nicht umdrehen und schenke ihr die gewünschte Aufmerksamkeit, während die Bahn quietschend durch den Tunnel zuckelt.

„Sex und so mag isch gar net“, sagt, oder eher: brüllt das Mädchen. Im Spiegel erkenne ich, dass sie etwas korpulenter ist und Ohrringe trägt, durch die Wladimir Klitschkos Faust passen würde. „Isch hab’ so Freunde, die gehn dauernd feiern und schleppen irgend ’nen Typen ab, mit dem sie dann vögeln“, brüllt sie weiter. „Das wär nix für mich.“

Eines der Mädchen, mit denen sie sich unterhält, fragt: „Biste denn schon 18?“

„Nee“, antwortet das Mädchen mit den großen Ohrringen. Sie klingt, als fühle sie sich ertappt und müsse etwas gestehen, was ihr zuwider ist. Erstaunlich, gerade in diesem Alter sich nicht für Sex zu interessieren, denke ich amüsiert. Doch wenige Minuten später steht mein Mund weit offen und ich schäme mich für den Gedanken.

Als das Mädchen am Hauptbahnhof aussteigt, sehe ich sie zum ersten Mal. Sie schiebt einen Kinderwagen.