wochenschnack
: Abgeschnitten

„Die Einsamkeit ist eine Zelle“, meinte die Autorin unserer Titelgeschichte vom vergangenen Wochenende. Man kann mitten unter Menschen einsam sein

Einsamkeit gibt es gerade auch mitten in der Stadt Foto: Miguel Ferraz

Kein Gefängnis

Einsamkeit ist eine Zelle? Schon möglich. Nur muss die Zelle nicht unbedingt Teil eines Gefängnisses sein.

Zu allen Zeiten sind vor allem solche Menschen in die Stadt gezogen, die die ständige Sichtbarkeit gründlich satt hatten. Und wer sich heutzutage durch die permanente Aufmerksamkeit Anderer gestresst fühlt und glaubt, er bräuchte etwas Ruhe, um seine „Batterien wieder aufzuladen“, der bezieht nicht selten eine Zeit lang eine Klosterzelle, auch wenn er gar nicht religiös ist.

Immer und überall ist die Frage, ob Einsamkeit gut tut oder nicht, eine Frage der Entscheidungsfreiheit. Menschen brauchen Rückzugsorte nicht weniger als Orte, an denen sie mit anderen zusammen sein können. Vor allem aber brauchen sie die Wahl. Welcher Ort gerade gebraucht wird, hängt schließlich davon ab, wie sich der Mensch gerade fühlt. Und das kann nur er selber wissen.

An der Stelle wird es mitunter etwas schwierig. Um selbst entscheiden zu können, muss man nämlich nicht nur dürfen, sondern auch können und wollen. Wer sein Gehirn in Schnaps eingelegt hat oder sonst irgendwie angeknackst ist, hat oft Probleme mit dem Wollen und dem Können. Die Tragik liegt dann weniger in der Einsamkeit selbst oder gar in der Stadt, als vielmehr in der betroffenen Person, die nicht entscheiden kann. Vor allem dann, wenn die, die es an seiner Stelle tun, nicht genau hinsehen.

Auch auf dem Dorf und in der Zweierbeziehung können wir Menschen ziemlich einsam sein. Das finde ich persönlich fast noch tragischer. In einer Stadt, schließlich, ist mit der Einsamkeit zu rechnen. Auf dem Dorf oder in der Familie nicht.

Wobei – ist es womöglich doch. Zwar wird manchmal behauptet, eine Million Mistfliegen können sich nicht irren, aber wenn die „Struktur“ kaputt ist, können ganze Gruppen einen an der Waffel haben. Dann ist die Zelle sowas wie ein Panic-Room. Wohl dem, der eine hat. Er braucht sich sein Gehirn nicht ruinieren mit Drogen irgendwelcher Art.

Mowgli, taz.de

Mehr als Vereinzelte und Ich-AGs

@mowgli In Ihr Loblied der großen Freiheit (und in deren Folge der Selbstoptimierung) stimme ich als sozialer Mensch n i c h t mit ein.

Einsamkeit ist kein pathologischer Sachverhalt. Ganz im Gegenteil. Früher gab es einmal Gemeinwesen. Die Älteren unter uns, jedenfalls die mit wachem Geist und Herzen, erinnern sich noch daran. Diese Gemeinwesen drückten schon mit ihrem Namen aus, dass ein Dorf, eine Stadt, ein Land aus mehr besteht als einer puren Ansammlung vereinzelter Individuen und Ich-AGs.

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Einsamkeit liegt eben nicht in der betroffenen Person begründet, die einsam ist beziehungsweise sich einsam fühlt. Sondern in einer Gesellschaft, die versagt hat.

Die unter Einsamkeit leidenden Menschen zeigen in ihrem Alleine- gelassen-sein dieses gesellschaftliche Versagen an. Und genau deshalb sind sie so unerwünscht, weil sie den Finger in diese Wunde legen.

Wolfgang Leiberg, taz.de