Verkehrte Welt umdrehen

Zum Auftakt des Festivals „dampf 05“ präsentiert die Kölner Choreographin Amanda Miller ihre Produktion „introductions“. Darin stellt sich die neue Company „pretty ugly tanz köln“ gelungen vor

AUS KÖLN HOLGER MÖHLMANN

Die Welt stand Kopf bei Amanda Miller: Eine gemalte Flusslandschaft, in der der Himmel unten war, bildete am vergangenen Wochenende den Hintergrund für einen neunzigminütigen Ballettabend, mit dem die Choreografin der Bühnen Köln die neue Tanzsaison eröffnete. Zum Auftakt des Festivals „dampf 05“, das noch bis zum 11. September in der Halle Kalk Arbeiten zeitgenössischer Tanz- und PerformancekünstlerInnen aus mehreren europäischen Ländern zeigt, präsentierte Amanda Miller die Produktion „introductions“. Ausdrückliches Ziel des Abends war, dass die einzelnen Mitglieder der noch neuen Company pretty ugly tanz köln sich und ihre persönliche Tanzsprache vorstellen.

Über lange Zeit hinweg wird nicht klar, was dieser gelungene Abend mit der „Verkehrten Welt“ zu tun hat, vor der er sich abspielt. Zu sehen sind Gruppenchoreografien, Soli und Duette, die sich in eindringlicher Weise damit auseinander setzen, was Tanzen alles heißen kann. Zu Beginn versuchen die TänzerInnen, sich tastend und pantomimisch selbst zu definieren, sich gegen unsichtbare Räume abzugrenzen, begleitet von unsicheren Synthesizerklängen, die ebenfalls nach sich selber suchen. Nach und nach werden einzelne Körperteile zu Buchstaben einer individuellen Tanzschrift, die sich durch Austesten aller Möglichkeiten der Arme, der Hände oder des Knies entwickelt. Faszinierend das Solo von Emi Miyoshi, in dem eine Hand und ein Fuß scheinbar schwerelos wie Plankton im Raum schweben und sich miteinander unterhalten. Eine Minute später proben zehn Finger, die zunächst artig ein eigenes kleines Ballett aufführten, den Aufstand und verbünden sich gegen ihre Herrin.

Starke Bilder sind die Highlights dieses Abends, der – wie so oft im Tanztheater – um die eigene Profession und ihre Bedingungen kreist. Und der auch die Schwierigkeiten nicht ausspart: Mehrere Choreografien thematisieren die Hemmnisse und Rückfälle im Schaffensprozess, das schmerzhaft Gebärende von Kunst und Bewegung. Im Licht des Scheinwerfers sehen die Schatten der TänzerInnen dabei wie die von Primaten aus, wie Höhlenzeichnungen der Ur-TänzerInnen, mit denen alles begann.

Bild und Bewegung sind keine Grenzen gesetzt in diesem Potpourri der Choreografien, in dem sich Gliedmaßen wie Regenschirme aufspannen und Akteure raumgreifend aufeinander zuspringen, um sich dann wie magnetische Pole gegenseitig abzustoßen. In dem die TänzerInnen fallen, ohne zu zerbrechen, willentlich einzelne Körperteile dressieren, ohne zur Marionette zu werden, verzweifelt gegen das Brett vor dem eigenen Kopf anrennen, ohne das letzte Geheimnis, das über der Kreativität liegt, je ganz zu entschlüsseln. Geheimnisvoll klingt hierzu die elektronische Musik, die auf- und abschwillt wie das Rauschen in einem Ofenrohr. Und endlich wird klar, was es mit der „Verkehrten Welt“ im Hintergrund auf sich hat: Jeder muss sie für sich selbst umdrehen, seine Welt durch eigene Leistung in die richtige Position bringen. Choreografie ist dabei eine von vielen Möglichkeiten.

Phantasievoll, kurzweilig, leicht verständlich und bei allem thematischen Selbstbezug anregend und fern jeder Beliebigkeit gibt sich diese Produktion, die nach „Oberon's Flower“ und „Pretty Ugly“ ein weiteres Mal in die Welt von Amanda Miller und ihrer Company einführt. Für Anfang Oktober ist ein neuer Ballettabend geplant, dann mit mehr Vorstellungen.

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