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Vater, Mutter, Kind? Wir können auch anders!

Was ist Familie? Dem traditionellen Familienmodell des 20. Jahrhunderts haben sich inzwischen einige Alternativen hinzu gesellt

„Heiraten und Kinder kriegen“ war – unbedingt in dieser Reihenfolge – für einen großen Teil des zwanzigsten Jahrhunderts der Plan vieler junger Menschen. Heute sieht das anders aus. Manche wollen heiraten, aber keine Kinder. Wieder andere wollen Kinder, aber bitte ohne Trauschein. Es ist längst normal, dass Frauen mit Frauen und Männer mit Männern zusammenleben und eigene oder Adoptivkinder großziehen. Und dann gibt es natürlich noch Alleinerziehende und Patchworkfamilien. Auf den ersten Blick hat sich eine Menge geändert. Diese Entwicklung geschah nicht über Nacht. Der Grundstein wurde schon vor langer Zeit gelegt, vor fünfzig Jahren nämlich. 1968 wurde alles infrage gestellt, was zuvor unverrückbar erschienen war. Die alte Ordnung war nicht mehr das Leitbild, nach der die jungen Menschen damals ihr Leben ausrichten wollten. Ihnen ging es um Authentizität. Sie wollten das leben, was sich für sie richtig anfühlte. Dieser Initialzündung folgte eine Suche. Verschiedene Erziehungs- und Lebensmodelle wurden ausprobiert, weiterentwickelt, verworfen oder beibehalten. Heute – so wirkt es auf den ersten Blick – kann jeder tun, was er oder sie will. Oder?

Kerstin Ruckdeschel vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat mit ihrem Team Familienleitbilder in Deutschland unter die Lupe genommen. Dabei stellte sich heraus: „Noch immer herrscht das klassische Familienbild vor – also Mutter, Vater und zwei Kinder. Das wird von jedem akzeptiert.“ Doch diese Konstellation liegt bei Weitem nicht immer vor. Die Rollenvorstellungen und Prinzipien der Nachkriegszeit waren nicht viel anders als noch vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs: Strikte Regeln waren an der Tagesordnung, der Mann ging arbeiten, die Frau blieb meist zu Hause und kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Eine autoritäre Erziehung war die Norm, freie Entfaltung hielt man für Humbug, wenn nicht gar gefährlich für das Kindswohl.

Dennoch sollte es noch dauern, bis daran zum ersten Mal gerüttelt wurde. Im namensgebenden Jahr war die 68er-Bewegung auf ihrem Höhepunkt und wollte alles anders machen. An den Universitäten, aber auch was das Privatleben anging, wehte plötzlich frischer Wind. Die altbekannten Familienstrukturen wurden aufgebrochen. „Plötzlich“ gab es Frauen, die keine Kinder wollten und die Pille nahmen, um dennoch Sexualität leben zu können – und das ohne verheiratet zu sein.

Generell befeuerten die aktiven 68er eine Liberalisierung von Privatleben und Familienbildern. So entstanden beispielsweise Kinderläden, in denen der Nachwuchs sich unter Aufsicht selbst entfalten und vor allem einen kritischen Blick für Autoritäten entwickeln sollte.

Was uns heute als vollkommen normal erscheint, war damals ein Skandal. Seit 1968 hat sich die Gesellschaft stets weiterentwickelt und ist, was Familienbilder und Rollenvorstellungen angeht, immer liberaler geworden. Unter dem Begriff „Familie“ werden zahlreiche verschiedene Lebensformen und Konstellationen des Lebens in Gemeinschaft zusammengefasst, die gleichberechtigt koexistieren.

Auch wenn noch nicht alle Familienkonstellationen von jedem akzeptiert werden, werden die Vorstellungen von Familie immer vielseitiger. Und, so Ruckdeschel, „es tut sich etwas an den Rändern. Kultureller Wandel braucht seine Zeit.“ Julia Heidorn