HAMBURGER SZENE VON MAGDA SCHNEIDER
: „Die Welt ist grausam“

Die Bierbar am Hauptbahnhof ist eigentlich ein Treff, um die Zeit bis zur Abfahrt des Anschlusszuges zu überbrücken, oder für Frauen, die mit ihrer Kollegin vor der Heimfahrt noch über ihren Chef lästern oder über die letzen Avancen ihres Kollegen tuscheln. An jenen späten Abendstunden gesellten sich jedoch – nicht zum ersten Mal – Bundesbahngestrandete hinzu

„Das war eine richtige Horrorfahrt“, sagt eine Frau im Nerzmantel zu ihrem Nachbarn, als sie erschöpft an ihrem Glas Rotwein nippt. „Heute morgen von Lübeck nach Berlin hat alles gut geklappt, aber zurück …?“ Die Bahn hatte mal wieder mehrstündigen Totalausfall. Ihr Mann versucht, den Schaden zu begrenzen. „Bis Lüneburg schaffen wir es wohl noch, aber danach brauchen wir eine Fahrgelegenheit“, sagt er in sein Handy. Die Frau denkt schon über Alternativen nach. „Das Schweinske hat auch über Nacht auf“, sagt die Kellnerin auf Nachfrage.

Dann stürmt ein Pendler-Stammkunde in die Bar. „Die Bahn hat mir die Zeit gestohlen. Hast du mal schnell zwei Dosen Köpi und zwei Cola-Becher?“, fragt er die Barfrau. Die Kellnerin erfüllt den Wunsch. „Und noch zwei Strohhalme“, sagt er. „Strohhalme für Bier“?, fragt ein Nachbar verblüfft. „Tarnung“, erwidert er. „Metronom und Alkoholverbot?“, fragt der Gast. „Ja, die Welt ist grausam geworden.“