Mit der Familie rechnen

Wer Familie und Beruf problemlos unter einen Hut bekommt, bringt auch seinem Arbeitgeber mehr. Selbst kleine Betriebe können viel Spielraum schaffen – und dabei finanziell gewinnen

VON SOPHIE DIESSELHORST

Um seinen Job zu fürchten, wenn man um Auszeit bitten muss, um sein krankes Kind zu pflegen und dieses Kind, wenn es gesund ist, nur zum Gute-Nacht- und Guten-Morgen-Sagen zu sehen – das könnten Gründe sein, sich eine Familiengründung als berufstätige Person zweimal zu überlegen. Und es sind auch nachvollziehbare Gründe für eine Frau, sich mit einer Familiengründung gegen die Fortführung einer Berufstätigkeit zu entscheiden. Doch es gibt Betriebe, die ihren Beschäftigten die Entscheidung zwischen Familie und Beruf abnehmen. Zum Beispiel die Glaserei Koch in Neubrandenburg. Das Kind zur Schule bringen und deshalb eine Stunde später als die anderen zur Arbeit erscheinen? Kein Problem, ebenso wenig wie einen Nachmittag in der Woche freizunehmen und dafür an einem anderen Tag mehr zu arbeiten.

„Wir praktizieren Familienfreundlichkeit schon seit unserer Gründung 1965, und zwar einfach deshalb, weil unsere Mitarbeiter so den Kopf frei haben für wirkliche Arbeit“, erklärt Gertrud Koch, Inhaberin des Betriebs. Ihre Beschäftigten seien deutlich motivierter und konzentrierter, wenn sie das Gefühl hätten, dass sie auch für ihre Familie genügend Freiraum hätten. Und wenn eine Mitarbeiterin schwanger wird und nicht mehr handwerklich arbeiten kann, kümmert sie sich stattdessen um die Büroarbeit. So hält sich die Glaserei Koch ihre qualifizierten und eingelernten Fachkräfte. „Auch nach der Geburt wollen die meistens so schnell wie möglich wieder anfangen zu arbeiten“, so Koch.

Für die Handwerksbetriebe, die noch nicht auf den Trichter gekommen sind in Sachen Familienfreundlichkeit, hat das Bundesfamilienministerium in Zusammenarbeit mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks Ende des vergangenen Jahres eine Studie erstellt. „Familienfreundliche Maßnahmen im Handwerk“ führt, angelehnt an eine ähnliche, vorher veröffentlichte Studie für größere Unternehmen, die Vorteile familienfreundlicher Praxis für kleinere Unternehmen auf.

„Gerade für kleinere Betriebe ist es wichtig, ihre langjährigen, gut eingearbeiteten Mitarbeiter zu halten, weil sie oft nicht mit den steigenden Lohnentwicklungen mithalten können“, erklärt Axel Seidel von der Prognos AG, der die Durchführung der Studie geleitet hat. Es zeichne sich außerdem bereits seit längerem ab, dass familienfreundliche Betriebe auch wirtschaftlich erfolgreicher seien.

Die Studie basiert auf Interviews mit 18 Handwerksbetrieben aus 14 unterschiedlichen Gewerken deutschlandweit. Im ersten Teil werden familienfreundliche Maßnahmen vorgestellt, jeweils illustriert von einem oder mehreren Fällen aus der Wirklichkeit. Den zweiten Teil bilden fünf längere Praxisbeispiele, die die Kosten-Nutzen-Relationen familienfreundlicher Maßnahmen veranschaulichen sollen. Im dritten Teil schließlich werden die betriebswirtschaftlichen Effekte dargelegt. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen zählen neben flexibler Zeiteinteilung und Teilzeitarbeit Teamarbeit und Arbeit von zu Hause.

Zur Regelung flexibler Arbeitszeiten wird die Einrichtung von Arbeitszeitkonten empfohlen. „Auf einem Arbeitszeitkonto werden die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten in Form von Arbeitszeitguthaben oder Arbeitszeitschulden erfasst. Es können davon beide Seiten im Betrieb profitieren: Die Beschäftigten können zeitliche Spielräume bei gleich bleibendem Einkommen nutzen oder auch Zeit für eine längere Auszeit ansparen. Für Betriebe bieten Arbeitszeitkonten den Vorteil, dass bei Auslastungsspitzen keine Kosten für Mehrarbeit entstehen und weniger Leerzeit für die Beschäftigten bei Unterauslastung anfällt.“

Essenzielle Bedingung für die Einführung von sinnvollen familienfreundlichen Maßnahmen in einem Betrieb ist der Studie zufolge ein familienfreundliches Betriebsklima, in dem Lösungsstrategien zusammen mit allen Mitarbeitern diskutiert werden können. Wenn dann eine erfolgreiche Lösung gefunden worden ist, können erstaunliche Summen dadurch eingespart werden. So zum Beispiel im Esslinger Malerbetrieb Wolfgang Scharpf, den die Studie als Praxisbeispiel vorstellt: Durch die Möglichkeit zu Teilzeitarbeit und individuellen Arbeitszeitplänen konnte der Betrieb, der zunehmend mehr Frauen beschäftigt, seine Fachkräfte über die Jahre halten. Eine Neueinstellung würde hingegen bis zu 18.500 Euro kosten. Diese Summe setzt sich aus den Kosten für Auswahl, Einstellung, Einarbeitung, Fortbildung und Minderleistung während der Einarbeitungszeit zusammen.

Die zunehmende Beschäftigung von Frauen im Handwerk rückt das Thema Familienfreundlichkeit in den Vordergrund und bereitet ihr an vielen Orten auch den Weg. „Handwerksmeister schätzen neben der fachlichen vor allem auch die soziale Kompetenz ihrer Mitarbeiterinnen. Es trägt zu einem ausgewogenen Klima bei, wenn Männer und Frauen gut im Betrieb zusammenarbeiten“, berichtet Anne-Carolin Weidner, Pressereferentin des an der Studie beteiligten Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Auch deshalb zeigten sich bereits viele Unternehmer im Handwerk flexibel, wenn es darum geht, dass ihre Mitarbeiter – Männer ebenso wie Frauen – Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren können. Ein gutes Mittel, diesen Trend weiter zu unterstützen, seien lokale Bündnisse für Familie und Wettbewerbe, die das Thema Familienfreundlichkeit in den Vordergrund stellen. „Man muss Praxis aus der Praxis generieren.“