Aussteigergeschichten
: Die Botschaft vor der Botschaft

Die Sonne strahlt, die Stadt wirkt ruhiger als sonst. Vor dem Hauseingang der kolumbianischen Botschaft in der Kurfürstenstraße streift nur ein Lüftchen das ungelenk beschriebene Transparent. In Richtung der Autofahrer fragt es: Wer glaubt noch an Liebe? Offenbar nicht viele. Zumindest hält kein Auto an.

Jürgen Wagner hat sich von vornherein mehr auf die Fußgänger konzentriert und auf die Rückseite des Banners mit verschnörkelter Schrift „Gespräch erwünscht“ geschrieben. Daneben steht der Mann mit dem wallenden, leicht ergrauten Haar, in brauner Leinenkleidung, ohne Schuhe – und wartet. Auf Gespräche. Doch auch die meisten Passanten hasten mit einem mitleidigen Lächeln vorbei, ein paar Jugendliche kichern über den merkwürdigen Typen, der aussieht wie Jesus.

Worüber will er reden? Jürgen Wagner gibt gerne Auskunft. Er tritt ein für die Sicherheit des waffenfreien Friedensdorfs in San José de Apartado in Kolumbien, das sich in dem von Terror und Gewalt geprägten Land gegründet hat und sich aus den bewaffneten Konflikte Kolumbiens heraushalten will. Die Dorfgemeinschaft ist sozusagen ausgetreten aus dem Alltagskonflikt zwischen Paramilitärs und Regierungsgewalt. Doch das Dorf ist bedroht, auch von Seiten der kolumbianischen Regierung, sagt Wagner. Deswegen hält er diese Fasten-Mahnwache.

Jürgen Wagner war noch nie in Kolumbien. Doch das Friedensdorf-Projekt passt zu seiner Lebensführung. Auch er ist ausgetreten – aus „allen gesellschaftlichen Zwängen“, aus der Bundesrepublik. Seinen Personalausweis schickte er 1994 an den Bundespräsidenten. Danach gründete er die „Schenker-Bewegung“: Er lebt von Dingen, die ihm gegeben werden, predigt Liebe und eigenverantwortetes Leben. Das ideelle Fundament stellen Ghandi, Franziskus, Buddha – und natürlich Jesus himself.

Ist Jürgen Wagner Spinner, Idealist oder Revolutionär? Ein Pubertierender bleibt stehen und fragt ihn feixend nach einer Hausnummer. Diplomtheologe Jürgen Wagner lächelt mild. Er weiß, dass er komisch aussieht. Er zeigt grinsend auf seine braune Kutte und sagt: „Ich mach den Leuten doch nichts vor.“ Man kann den Mann in seiner pastoralen Gerd-Ruge-Manier nicht unsympathisch finden. Zum Abschied notiert er feierlich auf einen Zettel: „Überall in der Welt sterben Opfer. In den Friedensdörfern droht die Lösung zu sterben.“ Noch bis Anfang Oktober wird Jürgen Wagner weiter protestieren. VERONIKA DE HAAS