Industriestaatenfürchten Urteile

Der Fall von Saúl Luciano Lliuya ist ein Beispiel für etwas, das im UN-Sprech „Loss and Damage“ (Verlust und Schaden) heißt – und worüber offiziell kaum geredet wird. Bisher streiten sich die Delegierten bei den Klimakonferenzen vor allem über zwei Themen: CO2-Reduktion und Anpassung an den Klimawandel. Auch bei den Gesprächen, die ab Montag in Berlin als „Petersberger Klimadialog“ geführt werden, spielen Verluste und Schäden nur eine Nebenrolle. Viel wichtiger ist es für die 35 eingeladenen Länder, bis Ende des Jahres ein Regelwerk für das Pariser Abkommen von 2015 zu erstellen – und einen „gerechten Übergang“ von einer kohle- und ölbefeuerten Wirtschaft zu einer grünen Zukunft zu suchen.

Da rutscht „Loss and Damage“ schnell nach hinten. Über diese Themen wird ohnehin erst seit 2013 gesprochen, als die Entwicklungsländer den sogenannten Warschau Mechanismus erzwangen. Seitdem reden die Diplomaten immer mal wieder betont wolkig darüber, was das eigentlich ist und wer dafür zahlen soll. Die Schäden, die der Klimawandel in Zukunft etwa durch Überschwemmungen, Dürren oder wie in Peru durch verunreinigtes Trinkwasser anrichten kann, schätzt ein Gutachten der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung auf 50 bis 300 Milliarden Dollar im Jahr. Für alle Aspekte des Klimawandels haben die Industriestaaten aber nur eine Finanzierung von 100 Milliarden ab 2020 versprochen.

Fälle wie der von Saúl Luciano Lliuya und das Thema „Schäden“ bilden ein Horrorszenario für die Industrieländer. Denn sie fürchten Schadenersatz für Klimaschäden, den die armen Länder politisch fordern und der weltweit inzwischen in vielen Prozessen eingeklagt wird. Ohne Zugeständnisse bei „Loss and Damage“ wird es aber im Dezember bei der nächsten UN-Konferenz im polnischen Katowice kaum eine Einigung geben, haben die Entwicklungsländer signalisiert.

In Katowice gibt es aber noch andere harte Nüsse zu knacken: Die Länder müssen im Details regeln, wie das Pariser Abkommen umgesetzt wird: wer wie viel CO2 spart, wie darüber Rechenschaft abgelegt wird, wo das Geld dafür herkommen soll. Und dann wollen die Kohle- und Ölländer wie der Gastgeber Polen über den „gerechten Übergang“ reden, auf Deutsch: was ihnen gezahlt wird, wenn sie ihre Rohstoffe im Boden lassen.

Bis dahin soll auch die deutsche „Strukturkommission“ zum Kohleausstieg genau diese Frage beantworten: was tun mit Regionen wie der Lausitz, wenn die Kohle ausläuft? Um den Druck auf Deutschland zu erhöhen, hat vergangene Woche im Berlin schon mal die „Nach-Kohle-Koalition“ getagt, die sich bei der letzten UN-Klimakonferenz in Bonn zusammengefunden hat. Die ­Anführer sind Kanada und Frankreich – Deutschland, hieß es bedauernd aus dem Umweltministerium, könne da noch nicht beitreten. Der Plan ist aber, in Katowice eine Antwort zu haben – beim Kohleausstieg. Nicht bei „Verlust und Schaden“ für Opfer des Klimawandels wie Saúl Luciano Lliuya.

Bernhard Pötter