Koalitionsvertrag in der Kritik

BÜRGERSCHAFT SPD, Grüne und Linkspartei erwägen den Gang vors Bundesverfassungsgericht, CDU und FDP sehen das Vertragswerk als Chance

Der Vertrag sei ein „Masterplan zur sozialen Spaltung“, sagt SPD-Mann Tschöpe

Mit zornesrotem Kopf trat der sonst stets distinguiert auftretende Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) gestern vor die Bürgerschaft. Zur Debatte stand der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. „Ein ungedeckter Scheck, ausgestellt auf Länder, Städte und Gemeinden“ seien die schwarz-gelben Steuerpläne, empörte sich Böhrnsen.

Mit 163 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen rechnet das Bremer Finanzressort als Folge der Berliner Steuerpläne. „Wie die refinanziert werden sollen, dazu gibt es kein einziges Konzept“, sagte SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe, der in dieser Funktion erstmals vor das Parlament trat. Schwarz-Gelb setze einzig auf Wirtschaftswachstum. „Aber das wird nicht funktionieren“, so Tschöpe. Für ihn entfalle damit die Geschäftsgrundlage für die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Ab 2020 muss Bremen demnach ohne Neuverschuldung auskommen. Sollte der Bundesrat den schwarz-gelben Steuerplänen zustimmen, „bleibt uns nur, die Finanzordnung vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen“, sagte Tschöpe.

Diese Ansicht teilten Grüne wie Linkspartei. „Wir unterstützen das“, so Linken-Fraktionschef Peter Erlanson, „ob sie das wollen oder nicht“. Grünen-Fraktionschef Matthias Güldner forderte auch die übrigen Oppositionsparteien – CDU und FDP – auf, „sich für Bremen einzusetzen“. „Oder haben Sie einen Nibelungen-Pakt mit Frau Merkel, den Koalitionsvertrag schön zu reden?“

Der sei ein „Masterplan zur sozialen Spaltung Deutschlands“, so SPD-Mann Tschöpe. „Entsetzt“ habe ihn das Betreuungsgeld, das Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, ab 2013 winkt. Mit dieser „Herdprämie“ wolle man Kinder von staatlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten fernhalten, statt sozial benachteiligten Schichten zu mehr Bildungschancen zu verhelfen. Von Verlängerungen der Laufzeiten von Atomkraftwerken profitierten „vier Stromerzeuger in Deutschland“, Lobby-Verbände hätten ganze Passagen des Vertrags formuliert, kritisierte Grünen-Chef Güldner.

Unerwartete Avancen kamen indes aus der FDP-Fraktion. „Prüfen sie doch mal ihren Koalitionspartner“, wandte sich der FDP-Landesvorsitzende Oliver Möllenstädt an Güldner. Ländern mit FDP-Regierungsbeteiligung gehe es deutlich besser als Bremen. Schließlich betrieben auch die Grünen Klientelpolitik – und zielten ebenfalls auf ein bürgerliches Milieu.

„Vermehren statt verteilen“ bedeute der schwarz-gelbe Richtungswechsel, entgegnete der CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Röwekamp. Man setze auf den Ausbau der Offshore-Windenergie, bekenne sich zu Luft- und Raumfahrt, zur maritimen Wirtschaft und zur Hochtechnologie. „Wer sollte mehr davon profitieren als ein Standort wie Bremen“, fragte Röwekamp. Auf Steuersenkungen lege sich der Koalitionsvertrag zudem nicht definitiv fest. AG