Verwaltungsrichter wurde in die Irre geführt

Islamist Sami A. konnte nach Tunesien geflogen werden, weil das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen über die geplante Abschiebung unvollständig informiert war

Tunesiens Polizeimethoden sind umstritten Foto: Zoubeir Souissi/reuters

Aus Tunis und Freiburg Mirco Keilberth
und Christian Rath

Die Entwicklung im Fall des mutmaßlichen Islamisten Sami A. sorgt weiter für Diskussionen. A. war am frühen Freitagmorgen nach Tunesien abgeschoben worden trotz eines gegenteiligen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. In Tunesien wurde er in Untersuchungshaft genommen. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) rügte die Abschiebung. Was unabhängige Gerichte entschieden, „muss gelten“, sagte sie am Sonntag. Sie warnte vor einem Schaden für den Rechtsstaat.

Das Gericht hatte geurteilt, dass die Abschiebung „grob rechtswidrig“ war und rückgängig gemacht werden müsse, weil es keine Zusicherung der tunesischen Regierung gebe, dass A. in Tunesien keine Folter drohe. Der Sprecher der tunesischen Anti-Terror-Behörde, die dem Justizministerium in Tunis unterstellt ist, sagte der taz, der ehemalige Leibwächter von Osama bin Laden werde erst einmal verhört. „Seit Januar dieses Jahres liegen uns Erkenntnisse über seine Aktivitäten in ex­tremistischen Netzwerken vor, über die wir weiterhin ermitteln“, so Sofiene Sliti. Die Justiz Tunesiens sei jetzt für den Abgeschobenen zuständig. Er habe noch keine Anfrage aus Deutschland zur Rückholung erhalten, erklärte Sliti.

Nach Ankunft in einer Privatmaschine am Freitag auf dem Flughafen Enfidha wurde Sami A., 42, in das Untersuchungsgefängnis Gurjani gebracht, in dem die Anti-Terror-Polizei aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer, Terrorverdächtige aus Europa und in Tunis verhaftete Mitglieder von radikalen Netzwerken verhört. 15 Tage dürfen die Behörden die Verdächtigen nach geltendem tunesischem Recht in einer der Zellen des Gebäudekomplexes am Stadtrand von Tunis festhalten, bei akutem Verdacht kann ein Staatsanwalt den Zeitraum verlängern.

Nach dem Anschlag auf ein Hotel in der Nähe von Sousse, bei dem über 50 mehrheitlich britische Touristen ums Leben kamen, wurde Tunesiens Sicherheitsapparat mit europäischer und amerikanischer Hilfe massiv aufgerüstet. Während die GSG 9 und Polizeibeamte die tunesischen Sicherheitskräfte trainieren, konnten US-Geheimdienste durch die Überwachung des Internets mehrere Anschläge verhindern.

Amnesty International veröffentlichte im Februar mehr als 80 Fälle von Misshandlungen und Folter in tunesischen Gefängnissen. Der Aktivist Hussem Najib von der NGO OMCT betreut in Sidi Bousid Opfer von Polizeigewalt. „Den meisten meiner Mandanten wird vorgeworfen, dass sie mit Terroristen zusammenarbeiten würden.“ Schläge auf Polizeistationen während des Verhörs seien in den Provinzen noch alltäglich, berichtet er. Doch mittlerweile gebe es in Tunesien Nicht-Regierungs-Organisationen und Rechtsanwälte, die gegen die Polizei-Willkür im Namen des „Krieg gegen den Terror“ vorgehen. „Systematisch und automatisch ist die Folter in den Gefängnissen daher nicht mehr, auch seitdem Medien offen über unsere Arbeit berichten.“

Das „Nationale Institut gegen Folter“ empfängt alle aus dem Ausland abgeschobenen Tunesier am Flughafen und stellt ihnen einen Rechtsanwalt zur Seite.

Sami A. kam 1997 als Student nach Deutschland. 1999/2000 soll er in einem Al-Qaida-Lager in Afghanistan eine militärische Ausbildung erhalten und zeitweise zur Leibgarde von al-Qaida-Anführer Osama bin Laden gehört haben. Zurück in Deutschland soll er als salafistischer Prediger aktiv gewesen sein. Seit 2010 ist seine Abschiebung nach Tunesien gerichtlich untersagt, weil ihm dort Folter drohe.

„Die Justiz Tunesiens ist jetzt zuständig“

Sofiene Sliti, Sprecher der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft in Tunis

Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) widerrief das festgestellte Abschiebungshindernis Ende Juni 2018, weil sich die Verhältnisse in Tunesien verbessert hätten. Am Donnerstag entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen aber, dass das Abschiebungshindernis weiterhin besteht. Das Gericht faxte den Beschluss allerdings erst am Freitag früh um 8.10 Uhr an das Bamf und um 8.15 Uhr an die zuständige Ausländerbehörde Bochum. Da war A. schon im Flugzeug unterwegs nach Tunesien.

Das Verwaltungsgericht hatte in den Akten zwar gesehen, dass eine Abschiebung für Donnerstagabend vorgesehen war. Das Bamf hatte jedoch unter Berufung auf zuständige Landesbehörden erklärt, der Termin sei storniert. Von dem neuen Termin am Freitag früh war nicht die Rede gewesen.

Auf Antrag von A.s AnwältInnen beschloss das VG Gelsenkirchen dann eilends am Freitag, dass die Abschiebung „grob rechtswidrig“ sei und rückgängig gemacht werden müsse. A. war da aber schon von der tunesischen Polizei auf dem Flughafen festgenommen worden.

Zu klären ist nun, wer hier wem in Deutschland absichtlich oder fahrlässig Informationen vorenthielt. Es spricht manches dafür, dass das VG Gelsenkirchen hier gezielt ausgetrickst wurde.