Mit beängstigendem Vertrauen ins Strafgericht

Willy Thomczyk soll junge Elevinnen zum Sex gezwungen haben. Der Ruhrgebiets-Schauspieler bestreitet am ersten Prozesstag in Bochum alle Vorwürfe

AUS BOCHUMPETER ORTMANN

Der Schauspieler Wilhelm Josef Thomczyk steht vor Gericht. Wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und pornografischen Reden vor Minderjährigen. Dafür drohen dem Urgestein des freien Theaters im Ruhrgebiet mehrere Jahre Gefängnis. Thomczyk hat am ersten Prozesstag alle Vorwürfe als absurd abgetan. Sieht sich als Opfer einer Kampagne. „Er hat ein geradezu beängstigendes Vertrauen in die Weisheit und Güte des Gerichts,“ erklärte sein Düsseldorfer Verteidiger Martin Lauppe-Assmann vor der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum.

Der Saal C 240 ist proppenvoll, als die Verhandlung hinter gläsernen Trennscheiben beginnt. Thomczyk erscheint in grüner Cord-Jacke und kariertem Arbeiterhemd. Er lächelt eher gequält. Man sieht ihm die Nervosität an. Immer wieder wandert sein Blick in Richtung Ehefrau Stefanie, von der er zwar getrennt lebt, die zur moralischen Unterstützung natürlich gekommen ist. „Unser Verhältnis ist super“ wird Willi später dem Richter erzählen. Jetzt nestelt er erst einmal am zweitoberen Hemdknopf. Den soll er besser zumachen, hat sie ihm signalisiert. Willi gehorcht und schon ist die Verhandlung unterbrochen. Nicht wegen dem Knopf, sondern wegen der lädierten Lautsprecheranlage im glaswandgeschützten Sitzungssaal. „Heinz mach mal die Sprechprobe“ ruft ein Justizangestellter durch den Raum. Der Vorsitzende Richter Johannes Kirfel unterbricht doch lieber für zehn Minuten.

Draußen ist Thomczyks Nachbar in seinem Element: Fernsehkameras, Mikrophone und helles Scheinwerferlicht ziehen an. Martin Brast wohnt seit 25 Jahren nebenan, reist dennoch oft in asiatische Länder. Den Prozess will er aber miterleben. „Die wollen unserem Willi das doch nur anhängen“, analysiert er die Anklage, die noch gar nicht verlesen wurde. So einen hilfsbereiten Nachbarn wie den Schauspieler könne man sich nur wünschen. Was der alles für seinen Sohn tue. Globetrotter Brast versteht vor der Tür die Welt nicht mehr.

Drinnen listet die Staatsanwaltschaft Anklagepunkte auf, die sich gewaschen haben. Eines der mutmaßlichen Opfer soll er vor Jahren in seiner Wohnung sexuell bedrängt haben, mit dem Finger in sie eingedrungen sein und dabei onaniert haben. Ein weiteres zum Oralverkehr gedrängt haben. Vier Schauspiel-Schülerinnen soll er unsittlich berührt oder verbal belästigt zu haben. Die mutmaßlichen Opfer waren zum angenommenen Tatzeitpunkt, alles zwischen Herbst 2001 und Frühjahr 2002, teilweise erst 13 und 14 Jahre alt. Die härteste Strafe droht Willi Thomczyk für die angelastete Vergewaltigung, deren besonders schwerer Fall durch das Eindringen gegeben sei, so der Bochumer Staatsanwalt. Auch habe das mutmaßliche Opfer tagelang Schmerzen im Unterleib gehabt. Das bedeutet Absatz III.3 des Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches und verlangt eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

Der Vorsitzende Richter klopft erst einmal die Personalien des Angeklagten ab, der sich auch bereitwillig äußert, obwohl er schweigen dürfte. Willi Thomczyk erzählt von seinen Eltern aus Oberschlesien, seine Mutter sei früh an einem Gehirntumor gestorben. Das sei ein schlimmes Erlebnis für ihn als 16-Jährigen gewesen. Der Vater schlägt bisweilen, ein Grund weshalb er früh von Hause in Wanne-Eickel auszieht und nach dem Handelsschulabschluss in einem Hammer Kinderheim arbeitet. „Ich war damals wohl der jüngste Erzieher in Deutschland“, sagt er nicht ohne Stolz. Doch dann habe ihn das Theater mehr interessiert. Bereits nach einem Jahr Schauspielschule in Bochum sei er zu Peter Zadek ans Schauspielhaus gewechselt. „Als Schauspieler ist man entweder gut oder nicht, das wissen sie doch“, sagt er Richter Kirfel, als der nachfragt ob er Ausbildung an der Schauspielschule beendet habe. Doch auch Zadek wird dem hochpolitischen Menschen Thomczyk in den 1970ern zu bürgerlich und so gründet er sein eigenes Theater Kohlenpott: „Damals war der Begriff noch nicht so abgenutzt“, sagt er. Nach Erfahrungen bei den freien Berliner Bühnen „Birne“ und „Rote Grütze“ wurde auch das Kohlenpott-Theater als Kinder- und Jugendtheater konzipiert: Willi hatte sehr schnell Schulden. Bis zu seinem 40. Lebensjahr habe er dann von der Hand in den Mund gelebt, erzählt der heute 52-Jährige. Erst ein Werbespot mit einer Sportartikelfirma änderte diesen Zustand und machte ihn zum TV-Star mit eigener Serie.

Heute ist Thomczyk schuldenfrei, besitzt ein 130 Quadratmeter Altbau in Herne und hat ein paar Hunderttausende auf der Bank. „Aber kein Gold, kein Silber und keine Aktien“, beteuert er auf die endlos bohrende Nachfragen des Richters. Auch Fragen nach Ehe, Sorgerecht für Sohn Tim Willi (8) und Drogenkonsum beantwortet der Theatermacher, Musiker und Maler ruhig und ausführlich. Erzählt von seinem Bluthochdruck und vom Bier trinken, von der Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung vor knapp drei Jahren. „Ja, er habe die 75 Tagessätze zu 150 Euro bezahlt“. Auch der Anwalt der Nebenklägerin hat jetzt eine Frage. Dann ist wieder Richter Kirfel dran: „Was bekommt man denn so für eine „Camper“-Staffel bei RTL?“ „Brutto oder Netto?“ fragt Thomczyk. Das Publikum lacht, der Angeklagte nicht, man einigt sich auf rund 100.000 Euro nach Steuern. „Jetzt reicht es aber“, sagt Willis Kumpel Andreas Witt auf der Zuschauertribüne und nestelt an seinem Goldkettchen. Dem Richter wohl auch, er will vor der Erklärung des Anwalts eine Pause machen. „Die dauert nur 5 Sekunden“, sagt Martin Lauppe-Assmann, der mit der ehemaligen Staatsanwältin Ulrike Froehlich verteidigt. Im Namen seines Mandanten weist er alle Vorwürfe zurück.

Der Camper Benno verlässt mit seiner Noch-Ehefrau den Gerichtsaal durch die Hintertür. In seiner Tasche knistert ein Zettel. „Viel Glück, deine Wuchtbrummen“ steht darauf. „Den haben mir meine Schauspielschülerinnen gegeben“, verriet er am Abend vor dem Prozess in seinem Theater Kohlenpott in den Herner Flottmann-Hallen. Da gab es die erste Premiere seines künstlerischen Nachfolgers Frank Hörner, die er nicht verpassen wollte. Sollte sich die Anklage bestätigen, wird ihn der Zettel nicht retten. Nächste Woche ist Zeugenvernehmung.