Paris hofft auf Angela Merkel

Die Achse Schröder–Chirac könnte beim Streit über den Türkeibeitritt zerbrechen. Denn Frankreich ist nun für schärfere Verhandlungsbedingungen

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Die offizielle Linie in Brüssel hat sich nicht geändert: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen am 3. Oktober beginnen. Das klare Ziel: die Vollmitgliedschaft des Landes. Die EU-Kommission wiederholt dieses Credo unermüdlich. Schließlich habe sich in der Sache seit dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs im Dezember vergangenen Jahres nichts geändert.

Tatsächlich hat die Türkei inzwischen das Protokoll von Ankara unterzeichnet, das die Zollunion mit der EU auf die neuen Mitgliedsländer ausdehnt und die letzte Bedingung für Verhandlungen war. Doch gibt es Unklarheiten im Detail. So hat die Türkei immer noch nicht ihre Häfen für griechisch-zypriotische Schiffe geöffnet. Weshalb die EU-Kommission gestern Ankara aufforderte, möglichst noch vor Verhandlungsbeginn positive Zeichen an Zypern auszusenden. „Eine rechtliche Verpflichtung für die Türkei, noch mehr zu tun, gibt es jedoch nicht“, sagte eine Sprecherin in Brüssel.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Die letzte Hürde muss nämlich noch genommen werden. Die 25 EU-Außenminister, die sich heute und morgen im walisischen Newport treffen, müssen den Verhandlungsrahmen für die Gespräche mit der Türkei verabschieden. Und zwar einstimmig.

Normalerweise ist das eine Formalie. Aber der Widerstand der Beitrittsgegner wird stärker. Zwar rechnet in Brüssel niemand ernsthaft damit, dass der Beginn der Gespräche noch einmal verschoben werden könnte. Aber die Bedingungen, die die Mitgliedsländer den Türken während den Verhandlungen vorgeben wollen, könnten sich noch einmal verschärfen. Darauf drängen vor allem Frankreich, der griechische Teil Zyperns, aber auch die Niederlande und Österreich. Sie sprechen offen von Alternativen zur Vollmitgliedschaft, wollen diese eventuell in den Verhandlungsrahmen mit aufnehmen.

„Eine Alternative zum Beitritt ist mittelfristig ein realistischeres Ziel als der Beitritt“, sagte die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik Anfang dieser Woche in Wien. Sie plädiert für eine „maßgeschneiderte türkisch-europäische Gemeinschaft“, die über das bisherige Assoziationsabkommen hinausgehen soll. Ähnlich sehen das auch die Niederländer. Denn im EU-Referendum wurde klar: Die Mehrheit der Niederländer ist gegen einen Beitritt der Türkei.

Der Anlass für die wachsende Kritik in den vergangenen Wochen ist die Zusatzerklärung der Türken zum Ankara-Protokoll von Anfang August. Darin betonte die Regierung, dass ihre Unterschrift keineswegs eine Anerkennung des griechischen Teils Zyperns bedeutet. „Es ist nicht akzeptabel, ein Land der Union nicht anzuerkennen und ihr gleichzeitig beitreten zu wollen“, sagte daraufhin der Pariser Außenminister Douste-Blazy.

Das meinen auch die Griechen, deren zypriotische Bürger nach wie vor ihre Waren nicht direkt in die Türkei liefern dürfen. Sie drängen deshalb – unterstützt von den Franzosen – auf eine eindeutige Gegenerklärung der Union. In diesem Papier soll klar werden, dass Zypern ein Teil der EU ist und deshalb von der Türkei anerkannt werden muss. „Die Außenminister müssen nun über den Grad der Feindseligkeit dieser Erklärung beraten“, sagte gestern ein Diplomat. „Die Zyprioten drohen, dem Verhandlungsrahmen nur dann zuzustimmen, wenn die Gegenerklärung scharf genug ausfällt.“

Wie sich die Franzosen in der Diskussion verhalten werden, ist noch unklar. Staatspräsident Jacques Chirac hat zwar deutlich gemacht, dass sein Land die Verhandlungen nicht blockieren wird. Allerdings wird Frankreich wohl eine Rendezvous-Klausel vorschlagen. Ab 2006 soll regelmäßig überprüft werden, ob die Türkei bei der Anerkennung Zyperns Fortschritte macht. Notfalls könnten die Verhandlungen dann unterbrochen werden.

Zunächst werden die Gespräche aber aller Voraussicht nach beginnen – nicht zuletzt wegen des starken Engagements der britischen Präsidentschaft. Für die ist die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen nämlich eine Priorität. Die Zypernfrage ist für sie kein Problem: „Es ging nie darum, dass die Türkei mit dem Protokoll Zypern anerkennt. Es gibt also kein Problem“, sagte der Sprecher der britischen Vertretung in Brüssel. Tatsächlich hatten Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Dezember-Gipfel erklärt, die Unterzeichnung des Protokolls werde nicht automatisch die Anerkennung Zyperns bedeuten. Diese Einigkeit ist dahin. In Paris hoffen nun so einige auf einen Regierungswechsel in Berlin. Denn CDU und CSU wollen der Türkei keine Vollmitgliedschaft, sondern nur eine privilegierte Partnerschaft anbieten.

Auch im EU-Parlament werden die kritischen Stimmen lauter. Der Chef der französischen Sozialisten, Bernard Poignant, schätzt, dass mindestens die Hälfte seiner Abgeordneten in der Zwischenzeit gegen einen Beitritt sind. Für die konservativen Abgeordneten gilt das schon lange. Für die Türkei ist es deshalb umso wichtiger, alle von der EU gestellten Bedingungen zu 100 Prozent zu erfüllen.

Dabei geht es vor allem um das Gesetz zur Religionsfreiheit. Christliche Kirchen haben zurzeit keinen gesicherten Rechtsstatus und können keine Theologen ausbilden. Die Regierung in Ankara hat Brüssel versichert, dass das entsprechende Gesetz spätestens im Oktober verabschiedet werden soll. Am 9. November wird die EU-Kommission dann einen Bericht über die Fortschritte der Türkei vorlegen – egal ob die Verhandlungen begonnen haben oder nicht.