Bettelkind der Stadtpolitik

Obwohl die Kinderzahlen auf einem Rekordhoch sind, darbt die offene Kinder- und Jugendarbeit mit wenig Geld vor sich hin. Der Jugendhilfe­ausschuss Altona fordert die Rücknahme alter Kürzungen

Wenn keine Jugendhilfe da ist, gibt es ja immerhin noch Candy Crush Foto: Jens Kalaene/dpa

Von Kaija Kutter

Mit den Gegenstimmen der SPD und Enthaltung der Grünen hat der Jugendhilfeausschuss Altona kurz vor den Ferien einen brisanten Beschluss gefasst. Er fordert die Rücknahme der Zehn-Prozent-Kürzung des Etats für offene Kinder- und Jugendarbeit, kurz OKJA, aus dem Jahr 2013. Das Geld ist für Bauspielplätze, Jugendklubs, Mädchentreffs und andere Angebote vorgesehen – für ein Leben außerhalb von Schule und Elternhaus. Bis heute hat sich der Bereich von den Kürzungen nicht erholt. Jahr für Jahr muss das Budget über Haushaltsreste gerettet werden und wurde so zum Bettelkind der Bezirke.

„FDP, CDU und alle Träger haben unseren Antrag unterstützt“, berichtet Klaus-Peter Berndt, der für die Linke im Ausschuss sitzt. Denn die OKJA habe heute mehr Arbeit als früher, etwa weil sie Angebote für die Ganztagsschulen abdecken und mehr Kinder Bedarf haben – „allein die Bevölkerung ist seit 2012 gewachsen“.

Ein Blick in die Statistik belegt das eindrucksvoll. 306.537 Kinder unter 18 lebten im Jahr 2017 in Hamburg. Das sind gut zehn Prozent mehr als 2011. Heute gibt es 247 OKJA-Häuser, damals waren es 278. So viele Kinder – über 300.000 – hatte Hamburg zuletzt vor 40 Jahren zum Ende der Babyboomer-Zeit. Allein in Altona geht der Bezirk davon aus, dass in drei Neubaugebieten mehr Jugendtreffs gebraucht werden. Jedes Jahr ziehen Familien in den Bezirk, deren Kinder „Räume für ihre freie Entfaltung benötigen“, heißt es im Antrag. Ähnliche Entschließungen gibt es im Bezirk Nord. Auch dort ziehen Familien zu und es fehlen dauerhaft rund 350.000 Euro im OKJA-Budget. „Der Bedarf ist sehr viel höher als das Angebot“, sagt auch die Eimsbüttler Jugendpolitikerin Manuela Pagels. Zwar gebe es Ganztagsschulen, doch dort „reden Jugendliche nicht gern über häusliche Probleme“.

Dass SPD und Grüne den Antrag nicht mittragen, hat einen Grund. Denn es gibt im neuen Haushaltsentwurf 2019/20 etwas mehr OKJA-Geld. So wird dieser Topf von 23,15 um gut zwei Millionen auf 25,75 Millionen Euro aufgestockt. Doch bei genauer Betrachtung zerrinnt das Plus. Eine Million Euro gab es schon seit 2016 für die Flüchtlingsarbeit der OKJA, sie wird jetzt in den Etat integriert, rund 500.000 Euro sind für Tarifsteigerungen und 600.000 Euro sind für Projekte in Bergedorf und in Steilshoop.

„Diese eine Millionen gleicht das Loch nicht aus, wir brauchen 3,5 Millionen“, sagt Berndt. Außerdem müssten Tarifsteigerungen wie bei den Kitas regelhaft ausgeglichen werden. „Der Senat lässt die Kinder- und Jugendarbeit ausbluten“, pflichtet der Linken-Abgeordnete Mehmet Yildiz bei. Weil sie zu wenig Personal hätten, müssten Häuser Öffnungszeiten kürzen und bei Krankheit, Urlaub oder Fortbildung ganz schließen.

Die Kinder: 2011 lebten in Hamburg 274.863 Kinder unter 18 Jahren, 2017: 306.537.

Die Häuser: 2011 gab es 278 Angebote mit 30.662 Stammnutzern, 2017: 247 Angebote und 27.777 Nutzer.

Das Budget: 2011 24,5 Millionen, 2013 nur 22,8 Millionen, in 2019 nach Plan 25,7 Millionen – durch Kostensteigerungen ist es real weniger.↓

Yildiz hat durch Anfragen erfahren, dass es 2017 stadtweit zwar 244 OKJA-Häuser gab, davon aber mehr als die Hälfte weniger als zwei Stellen hat, die Fachleute als Minimum fordern.

Während die SPD allgemein wegen des Bevölkerungswachstums wieder mehr Personal einstellt, hält sie bei der OKJA die Zügel weiter streng. Projekte, die nicht zum Zuge kommen, sollen sich bei einem „Quartierfonds“ der Bezirke bewerben, der von sieben auf zehn Millionen erhöht wird. Allerdings müssen aus diesem Topf auch schon andere Bereiche bezahlt werden. Er gilt als „heillos überfrachtet“, sagt Yildiz’Parteikollegin Carola Ensslen.

Ronald Prieß, Jugendreferent der Linken, hat mal auf einem Bauspielplatz gearbeitet und fürchtet, dass unter den Kürzungen das Selbstverständnis der OKJA leiden wird. „Wir brauchen eine einheitliche Jugendhilfeplanung“, sagt er. Die Vertröstung auf separate Töpfe erzeuge eine „Projektitis, die nur Arbeitszeit verschlingt“.