Rein ins Gemetzel

Die Galerie Mitte zeigt mit Claus Haensels „Die Kotelettfresser“, dass Neoexpressi-onismus mehr kann als nur wütend zu sein

Der freie Westen frisst Koteletts Foto: Lukas Klose/Galerie Mitte

Von Radek Krolczyk

Mehr als die Malerei selbst verrät ihr Titel die Herkunft aus den 80er-Jahren: „Die Kotelettfresser“. Der Maler und Zeichner Claus Haensel hat diesen Titel einer Reihe scheinbar abstrakter Bilder zugedacht. 1978 und 1988 sind die Blätter entstanden, da lebte Heansel bereits in Bremen. 1984 hatte er gemeinsam mit seiner Frau, der 2013 verstorbenen Künstlerin Christine Prinz, die DDR verlassen.

„Die Kotelettfresser“ sind zurzeit in der Galerie Mitte zu sehen. Warum der Titel so wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen? Weil ein Kotelett heute einfach keine Bezugsgröße mehr darstellt. Für Haensel, der die leeren Regale in den Läden der planwirtschaftlich organisierten Republik kannte, waren die riesige Warenmenge, Überfluss und Verschwendung eine wichtige Charakteristik der neuen Heimat. Plötzlich waren da Leute, die dauernd Koteletts fraßen. Heute ist ein Kotelett jedenfalls eine fragwürdige Sache. Schließlich gibt es weit Schmackhafteres vom Tier als das fettige Stück Fleisch am Knochen und überhaupt – Fleisch! Dafür müssen Tiere sterben! Außerdem kommt so ein Kotelett meist vom Schwein, es macht fett und ist auch sonst ungesund.

Ele Hermel, die Leiterin der Galerie Mitte, kennt Haensels „Kotelettfresser“ bereits seit ihrem Entstehungsjahr. Sie sah die Bilder damals in seinem Atelier, das er in einer leer stehenden Turnhalle in Huchting unterhielt. Sie war neugierig, wie das Kulturverständnis eines ostdeutschen Künstlers wohl sein mochte. Als Student der Dresdner Kunstakademie genoss Haen­sel eine künstlerische Ausbildung, die sehr stark an einer bestimmten Form von Realismus ausgerichtet war. Studien der Natur und am menschlichen Körper standen im Mittelpunkt. Die Serie der „Kotelettfresser“ steht offensichtlich in Abgrenzung dazu – und doch war ihr die ostdeutsche Herkunft anzusehen: „Ich kannte die politischen Arbeiten von Westkünstlern wie Klaus Staeck oder Joseph Beuys“, erzählt Hermel, „da gab es Botschaften und Heilsvorschläge. Claus hingegen malte ‚Kotelettfresser‘, um seinen Konsumschock für sich selbst zu verarbeiten. Ohne Message, ohne mahnende Geste.“ Hermel war von der Serie begeistert. Immer wieder kam sie ihr in den Sinn. Vor wenigen Monaten regte sie an, sie zum 30. Jahr ihres Bestehens auszustellen.

Die Bilder selbst sind anders als ihr Titel, in ihrer beinahen Ungegenständlichkeit dem Blick gegenüber sehr offen. Der 1942 in Dresden geborene Haen­sel gehört zu jenen ostsozialisierten Malern, die in den 80er-Jahren dem neoexpressiven Stil der Neuen Wilden zugerechnet wurden. Bekannt sind vor allem dessen westdeutsche Vertreter wie Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Ter Hell oder Salomé. Jedoch gab es auch im Osten neoexpressive Maler, die sich gegen den Realismus der DDR wandten. Haensels Neoexpressionismus ist keine gefühlsduselige Ich-bin-sauer-Malerei, wie sie bei den Vertretern dieser Richtung häufig vorkam. Die Kraft, mit der die Striche aufgetragen wurden, sollte die Intensität von Gefühl und Geist widerspiegeln. Damit hat Haensels Malerei nun wirklich nichts zu tun, sie ist analytisch und spielerisch.

Auf den Blättern der Kotelett-Serie zieht er ein organisch wirkendes System aus farbigen, hell leuchtenden Rahmen auf. Dies ist ein typisches Merkmal seiner Bilder, das man etwa auch bei seinen Frauenportraits wiederfindet. Haensel spielt hier mit dem Verhältnis zwischen Innen und Außen – und natürlich ihrem Übergang, denn dieses Verhältnis ist das zwischen Kotelett und Fresser. Auch wenn Haensel selbst den konsumkritischen Impuls seiner Arbeit betont, merkt man ihr doch auch die große Freude an der Übertreibung an.

Die vielteilige Serie hat eine Reihenfolge – sie geht von der Ordnung eines in sich ruhenden Koteletts über zu zwei Koteletts, die auf einen, zwei und schließlich unzählige Fresser stoßen. Die Serie steigert sich in ein schier unüberschaubares Gemetzel hinein. Neben den Linien werden auch die Materialien auf den Papierbögen immer mehr, schließlich sind es Tinte, Aquarell, Acryl, Acryllack, Graphit, Farbstifte und Fettkreide. Bemerkenswert ist das Verhältnis von Haensels Kotelett-Serie aus den späten 80er-Jahren zur ganz aktuellen Bremer Malerei. An der Hochschule für Künste in der Überseestadt gibt es Malerinnen und Maler wie Kate Andrews oder Francisco Valenca Vaz, deren Arbeiten eine ungeahnte formale Affinität zu Claus Haensel aufweisen.

Bis 5. 8., Galerie Mitte im Kubo

Der Autor ist Betreiber der Galerie K’