Vertreibung aus dem Paradies

Der Hamburger Senat möchte Kleingärten in der Stadt schließen, um Wohnungen zu bauen. Kleingärten wie die Kolonie am Rückersweg. Eine Reportage aus der bedrohten Welt der Kartoffelernten und Festkomitees / von Anne Kunze

Wochenende im Hamburger Stadtteil Hamm. Die wenigen Jugendlichen stehen Kaugummi kauend in der Sonne und warten auf eine Bahn Richtung Innenstadt. Der Sommer drückt wie ein Heizkissen auf die Stadt und lässt den Gestank der Fabriken noch dichter werden.

Hier, im Niemandsland zwischen gähnend leeren Industriegeländen, grauen Wohnklötzen und alten Kanälen, liegt wie eine kleine grüne Oase die Kleingartenkolonie am Rückersweg. Auf der einen Seite rattert die Bahn vorbei, auf der anderen dröhnt die Schnellstraße.

Gartenzwerge gibt es keine in der Kolonie, aber Beete mit lila, grünen und gelben Blumen, Rasenstücke mit Weinstöcken und Pfirsichbäumen, gehegte und gepflegte Gärten und solche, in denen alles wild durcheinander wächst.

In der Kolonie am Rückersweg gibt es Vereinsmeier und harte Kerle, zarte Frauen und herbe Gärtnerinnen, junge Paare und Rentner in den 70ern. Gelegentlich kommt es zu Streit: „Haste schon mal so große Kartoffeln geseh‘n?“ - „Groß? Meine sind das Doppelte. Ich sach‘ dir doch seit Jahren, die musste tiefer eingraben.“ - „Angeber!“

Einig sind sich die Kleingärtner aber in zwei Punkten: Die Wintermonate sind die schlimmsten, ist der eine. Weil man im Winter nicht in den Garten kann, höchstens für ein paar Stunden am Tag, und „man im Frühjahr wieder von vorne anfangen muss“, sagt Elfriede Bollhardt, 53 und zupft ihr kurzes blondes Haar zurecht. Sie trägt ein pinkes T-Shirt und pinkfarbene Shorts. „Im März sieht es hier noch nach nichts aus. Da hänge ich zwei Stunden am Tag in Knielage auf den Beeten.“ Elfriede Bollhardt deutet auf Knieschoner, die sie sich für die Gartenarbeit angeschafft hat.

Die Kolonie in Hamm gibt es schon seit 70 Jahren. Dass sie bleiben möchten, ist die andere Sache, über die die Kleingärtner nicht zu diskutieren brauchen. „Wenn wir den Garten aufgeben müssen, gehen Charly und ich drauf,“ sagt Elke Winkler, 67. Charly, das ist ihr 70jähriger Mann Karl, schlohweißes Haar, groß gewachsen, ein wenig zittrig auf den Beinen.

Als Elke Winkler gehört hat, dass der Senat die Gärten bebauen möchte, kam ihr buchstäblich die Galle hoch. Mit Gallenbeschwerden wurde ins Krankenhaus gebracht.

Seit 1971 hegen die Winklers ihren Garten, sie haben das letzte Behelfsheim, das nach dem zweiten Weltkrieg stehen bleiben durfte, zur Laube umgebaut, die Mauern mit Holz verkleidet, einbruchsicheres Glas in die Fenster gebaut, 78 Eisenbahnschwellen in den Boden gerammt, damit er nicht absinkt, unzählige Blumen gepflanzt und jede Menge Gemüse angebaut. Charly sagt: „Von dem Geld und der Zeit, die wir hier rein gesteckt haben, hätten wir uns auch ein kleines Haus bauen können.“

Aber die Winklers haben sich eine kleine Wohnung gemietet, als in der Gegend etwas frei wurde, nicht, weil ihnen die Gegend so gut gefällt, sondern damit sie näher an ihrem Garten sind.

In der Siedlung trifft man auf Menschen, die tagsüber am Fließband stehen, auf Busfahrer, Bahnwärter und Buchhalterinnen. Manche haben hier Kinder, Enkel und Urenkel großgezogen. „Seit 20 Jahren verbringen wir unseren Sommer hier. Wegzufahren, konnten wir uns gar nicht leisten,“ sagt Elfriede Bollhardt, die Frau mit den Knieschonern.

Einige der Kinder und Kindeskinder haben sich selbst einen Garten in der Kolonie gepachtet. Am Rückersweg sterbe der Nachwuchs im Gegensatz zu anderen Schrebergartenkolonien nicht aus, sagt Manfred Bollhardt, Elfriedes Mann und Vorsitzender des Gartenbauvereins Rückersweg. Vergangene Woche erst habe er einen Garten an ein 23jähriges Pärchen verpachtet. Die jungen Menschen hätten keine Verwandten in der Siedlung, sie wohnten in der Gegend und fänden die Gärten so nett.

Von 13 bis 15 Uhr ist Mittagsruhe in der Kolonie, und Elfriede Bollhardt sagt, dass das die einzigen Stunden seien, die sie für sich haben. Das Paar bekommt ständig Besuch, immer gibt es etwas zu besprechen. Mit Manfred, dass schon wieder drei junge Tannen aus dem Garten geklaut wurden. Mit Elfriede, was man noch für das Waffelessen mit den Kindern einkaufen sollte und wann diesen Monat mit den Älteren gefrühstückt wird. Elfriede Bollhardt ist im Festausschuss, im Tresenausschuss und in fünf weiteren. Neulich hätten sie den ersten Abend der Saison zu zweit verbracht, sagt sie – Ende August.

„Wir sind verschieden, aber wir sind eine Gemeinschaft“, sagt Jürgen Helm, 53, und für ihn ist das vielleicht noch wichtiger als für die anderen. Sein Sohn ist mit 21 Jahren gestorben, daran ist die Familie zerbrochen, Scheidung, Jürgen Helm hatte einen Schlaganfall. Seit einem Jahr ist er jetzt stolzer Pächter eines Gartens, an dessen Ende der Kanal liegt, und hat neuen Mut gefasst.

Jürgen Helm hat ein Boot, „billig geschossen“, sagt er, zusammen mit dem 25jährigen Chris hat er es wieder instand gesetzt: Sie haben den Motor ausgebaut, die Schiffswände gestrichen und die Luke zur Kabine ausgebessert. Jürgen und Chris haben gerade Brötchen geholt, sie sitzen am Tisch vor Jürgens Laube und blinzeln in die Sonne, vor ihnen stehen Eierbecher. Chris kommt schon seit 17 Jahren in die Kolonie, seine Mutter hatte mal einen Freund, der hier Kleingärtner war, „der Lüdde“ nennen die anderen ihn.

Uwe Lenz hat sein 800 Quadratmeter großes Grundstück gleich nebenan. Zehn Jahre haben er und seine Frau Jutta auf ihr Grundstück am Wasser gewartet. Rund 300 Euro Pacht kostet es – im Jahr. Ersatzgrundstücke, die weiter weg liegen, würden sie nicht annehmen, sagt Uwe Lenz, „ich hab hier meine Arbeit drin, hab drei Jahre gepuckelt wie ein Weltmeister.“

Er ist 60 Jahre alt und steht mit freiem Oberkörper im Garten, im Mundwinkel eine Zigarette. Mit den Jahren sind seine Tätowierungen verschwommen, die Haut ist von zu viel Sonne gegerbt. Er fügt mit kräftiger Stimme hinzu: „Ich bleibe hier. Bis zur letzten Sekunde.“ In den Händen hält er eine Schubkarre, gefüllt mit Erde, hinter ihm steht ein Schuppen, darin: Schaufeln, Harken, Bohrer. An der Tür hängt eine Dartscheibe.

„Wenn man weiter wegzieht, muss man ein Auto haben, um hinzukommen,“ sagt Uwe Lenz. Ein Auto besitzen die Lenzens aber nicht – genau wie viele andere in der Siedlung. Jutta Lenz, eine zarte, kleine Frau, sagt leise: „Der Garten ist doch das einzige, was wir haben. Ich gehe die ganze Woche arbeiten und freue mich auf die Vögel.“

Vereinsvorsitzender Bollhardt weiß, was der Hamburger Senat auf die Kleingärten-Grundstücke bauen möchte: „Wohnungen für Besserverdienende. Für das mittlere Management.“ Dies ist nicht allein der Kampf der Kleingärtner gegen den Senat, es ist auch der Kampf der kleinen Leute gegen die großen. Auch den Kleingärten auf der benachbarten Billeinsel droht seit Jahren das Aus. Aber sie konnten die Schließung jedes Mal abwenden, „weil die einen Aufstand gemacht haben“, sagt Jürgen Helm, in seiner Stimme schwingt Bewunderung.

Im Kampf der Hamburger Kleingärtner mischt die SPD kräftig mit. „Keine Vernichtung von Kleingärten – Wir kämpfen für Sie!“ plakatiert die Partei. An vorderster Front kämpft Ingo Kleist, er ist Vorsitzender des Landesbundes für Gartenfreunde und langjähriger SPD-Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft. Im Landesbund sind die einzelnen Vereine der Kolonien zusammengeschlossen, auch die vom Rückersweg.

„Kleist nutzt die Situation aus, um Stimmung für die SPD zu machen“, schimpft ein Vereinsvorsitzender, der namentlich nicht genannt werden will, „die Kleingärtner werden vor einen parteipolitischen Karren gespannt.“ Die Schließung der Kleingärten sei eine „rein wahltaktische Geschichte“, die die SPD „aus dem Ärmel geschüttelt“ habe – praktischerweise kurz vor der Bundestagswahl.

Im letzten Garten der Kolonie steht dann doch noch ein Gartenzwerg. Sein Plastikfinger zeigt auf ein Schild: „Wir lassen uns nicht vertreiben!“