wortwechsel
: Die Westlinke und der Ostblock

Welchen Stellenwert hatte der Prager Frühling des Jahres 1968 für die radikale Linke in Westdeutschland? War sie nur Fellowtraveller der kommunistischen Parteien?

Foto: Alexander Dubček, auch in Westdeutschland Ikone des Prager Früh­lingsFoto: imago

„Prag 68: Der Traum ist aus“ von ­Barbara Oertel und Belinda Grasnick, „Der Feind war nicht die Sowjetunion“ von Jan Feddersen, taz vom 21. 8. 18

„Die“ Linke gab es nie

Nicht die westeuropäischen Linken konnten wenig mit dem Prager Frühling anfangen, sondern Barbara Oertel, Belinda Grasnick und Jan Feddersen. Ein unvoreingenommener Blick auf die Bedeutung des Prager Frühling für die Linken und deren Haltung zu seiner Niederschlagung ist ihnen durch Klischees verstellt. Die Tonlage der Generalabrechnung erlaubt keine differenzierte Analyse.

Dass der Prager Frühling für sehr viele, nicht zuletzt westdeutsche Linke eine wichtige und nachhaltige Rolle in ihrer persönlichen politischen Sozialisation spielte, bleibt ebenso unterbelichtet wie seine Bedeutung für die damalige linke Diskussion. Die Linke hat es damals so wenig gegeben wie heute. Diejenigen, die 1968 meinten, blind an der Seite der So­wjet­union stehen zu müssen, waren mindestens in Westdeutschland in der Linken in der Minderheit. Nicht nur „die Trotzkisten und wenige Sozialdemokraten“, sondern auch die linkssozialistische, undogmatische Linke und die Mehrheit der ­Jusos standen in kritischer Solidarität zum Prager Frühling und empfanden seine Niederschlagung als politische Katas­trophe. Dass die späteren Maoisten aufgrund ihrer eigenen Nähe zum Stalinismus mit dem Prager Frühling wenig anfangen konnten, ist überraschungsfrei.

Trotzdem hätte der verstorbene Christian Semler wohl Substanzielleres zur Linken und dem Prager Frühling beizutragen gehabt, als heute in der taz geboten wurde. Heiner Dribbusch, Düsseldorf

Von Dubček beseelt

Liebe Barbara Oertel und Belinda Grasnick, vielen Dank für die taz-Sonderseiten zum „Prager Frühling“. Ausgerechnet bei eurem Aufmacher auf Seite 1 bin ich aber über eure Sätze gestolpert, nach denen „die“ westeuropäische Linke mit dem „anderen 68“ wenig hätten anfangen können und glaubten, „an der Seite der Sowjetunion stehen zu müssen“.

Schon in diesem ikonischen Jahr 68 hatte sich die „Neue Linke“ längst in Gruppen und Grüppchen zerlegt. Neben den sich herausschälenden SU-orientierten poststalinistischen Gruppen – wie der in diesem Jahr gegründeten DKP oder deren Flankierung durch Intellektuelle wie Meinhof, Degenhardt oder Gremliza, die im „Ostblock“ den „Sozialismus“ verorteten – gab es die im Zerfallsprozess der Studentenbewegung wuchernden antisowjetischen maoistischen Parteien und Grüppchen, die sich übrigens nicht entscheiden konnten, ob „Moskau“ oder „Washington“ Hassobjekt Nr. 1 für aufrechte Kommunisten sein müsse, die aber in stalinistischer Rigorosität die Mördereien in Maos China und in Kambodscha verteidigten. (Ich war am Tag des sowjetischen Einfalls Zeuge, wie eine maoistische Gruppe vergeblich versuchte, sich an die Spitze einer großen Spontandemonstration gegen diese Intervention zu setzen.) Aber es gab 68 die vielen politisch bunten, humansozialistisch beseelten Menschen und Gruppen, deren große Hoffnung Alexander Dubček war. Hunderttausende in Deutschland und Europa haben sich empört und die meisten sukzessive ihren Traum vom „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ beerdigt. Ihr wisst doch selbst, dass Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit oder auch Rio Reiser, dessen Song „Der Traum ist aus“ ihr zitiert, erbitterte Gegner der kommunistischen Staatsdiktaturen waren und sind. Sie waren keine kleine Minderheit der Neuen Linken, sondern in deren Zentrum. Albert Lange, Detmold

Es gab Zorn, Proteste

Barbara Oertel und Belinda Grasnick verdienen große Anerkennung und Respekt für die vielfältigen Berichte und Reportagen über den August 1968 in Prag!

Ärgerlich und geradezu empörend ist für mich aber die oberflächliche Gleichmacherei von Jan Feddersen über die westeuropäische Linke! Denn es gab natürlich Zorn, Proteste und auch Tränen über den Einmarsch der Russen in die ČSSR! Zu der Zeit in Frankfurt, habe ich diese Einstellung gegenüber den brutalen Ereignissen nicht nur mitgekriegt, sondern selbst auch so empfunden! Da gab es kein taktisches Hin und Her mit „Kapitalismus versus Sozialismus“. Der „Prager Frühling“ war einfach schön, und eine Anbetung von Rudi Dutschke oder anderen Wortführern in West und Ost kam eh nicht infrage. Gisela Wülffing, Steinebach an der Wied

Politischer Wandel

Ich teile weitgehend die kritische Sicht von Jan Feddersen auf die westeuropäische Linke und ihre mangelnde Reaktion auf die freiheitlichen Bestrebungen in Mittel- und Osteuropa in den 60er und 70er (sogar noch in den 80er) Jahren.

Was mir in dem Artikel allerdings gefehlt hat, war der Hinweis auf ehemalige KPD-/SDS-Aktivist/innen, die später einsahen, dass sie auf dem linken Auge blind gewesen waren, die sich den Reformbewegungen in Mittel- und Osteuropa zuwandten und sie teilweise auch unterstützten. Besonders unfair finde ich, den Artikel mit dem Namen von Christian Semler (einst KPD/AO) zu beenden, ohne seinen späteren Wandel zu erwähnen. Gerade Semler hat sich in den 80er Jahren den freiheitlichen Bewegungen in Polen zugewandt, bereiste oft das Land, traf viele Oppositionelle, unterstützte – zusammen mit seiner Frau Ruth Henning – die Solidarność. Dieses Engagement ist von der polnischen Seite gesehen und geschätzt worden, wovon die Auszeichnung Christian Semlers am 3. September 2010 mit der Dankesmedaille des Europäischen Zentrums der Solidarność zeugt.

Es wäre daher gut gewesen, auf diesen politischen Wandel eines für die taz so wichtigen ehemaligen Redakteurs hinzuweisen. Joanna Barelkowska, Berlin

An allem schuld: 68er

Es wird langweilig mit Jan Feddersens ewigem 68er-Bashing. Zwar muss er zugeben, dass es auf der Linken scharfe Proteste gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten gab, aber es war ihm nicht genug. Dass der August 1968 die größte Enttäuschung für die außerparlamentarische Linke überhaupt war, dass danach der Knacks kam, lässt sich an vielen zeitgenössischen Zeugnissen ablesen.

Das Aufrechnen der Stärke des Protests gegen den Vietnamkrieg mit der des Protests gegen den Einmarsch ist albern. Wenn man der damaligen Bewegung etwas zum Vorwurf machen kann in Bezug auf die Sowjetunion und ihre Satelliten, dann die Tatsache, dass sie sich „vor Prag“ einfach nicht dafür interessiert hat. Von den SED-Ablegern in der alten Bundesrepublik abgesehen, war für niemanden unter den Linken der „reale Sozialismus“ im Osten ein Modell, über das es sich auch nur nachzudenken gelohnt hätte.

Wenn Cohn-Bendit sagt, seine linken deutschen Freunde hätten es sich verboten, die Bundesrepublik als das bessere Deutschland zu beschreiben, dann hatte er mit den Falschen zu tun. Für mich war das selbstverständlich, ich hatte nie den Impuls, mir die DDR oder ihre Bruderländer auch nur anzusehen. Absurd wird es, wenn Dany C.-B. sagt: „Es gibt eine Linie bis heute – lieber paktiert man mit Russland und Putin, lieber war man mit der polnischen KP als mit den Danziger Arbeitern und Arbeiterinnen …“ Wenn man munter in den Jahrzehnten herumspringt und 2018 und 1980 kurzschließt, dann kriegt man es natürlich hin: Die „68er“ sind an allem (an was genau?) schuld. Jochen Schimmang, Oldenburg

Nicht so einsichtig

„Es lebe das rote Prag“, taz vom 17. 8. 18

Ein Dankeschön für Ihren gut recherchierten Artikel, Herr Mießner, und dafür, dass er von unserem Leben in der DDR handelt. Ich war damals allerdings erst 15 und bei Weitem nicht so einsichtig wie Bettina Wegner und andere. Es hat bei mir noch gut zehn Jahre gedauert, bis ich die Tragödie der Zerschlagung des Prager Frühlings erkannt habe. Und dass Bettina Wegner mit ihren Liedern ein wichtiger Bezugspunkt in meinem Leben wurde. Antje Meurers, Dresden