DIE KLEINE WORTKUNDE

Schäuble fährt mit Schwarz-Gelb auf Sicht. Bloß wohin? Wie viel Rotwild und Waldgetier, wie vielen Kätzchen und Kaninchen es schon das Leben gerettet hat, man weiß es nicht. Fest steht, dass sich kaum etwas in den letzten Jahren auf deutschen Straßen so bewährt hat wie das Prinzip auf Sicht zu fahren. So gut, dass es gesetzlich verankert und in der Straßenverkehrsordnung § 20 Abs. 1 nachzulesen ist. Jeder Fahranfänger lernt neben der vorschriftsmäßigen Bedienung von Gangschaltung und Abblendlicht: Tacho follows Sichtverhältnis.

Wer am Steuer sitzt, darf nur so schnell oder so langsam fahren, dass er rechtzeitig bremsen kann, wenn ein Hindernis auftaucht. Bei guter Sicht, Sonnenschein und kilometerweitem Blick gen Horizont ist das kein Problem. Brenzlig wird’s, wenn der Ausblick durch Schnee oder Regen benebelt ist. Wenn man weder die nächste Kreuzung noch den Wagen vor einem ausmachen kann. Dann gilt es, eine ausgewogene Mixtur zwischen Kupplung und Gasgeben, zwischen Fahren und Sehen zu finden. Verkehrserfahrene sind hier deutlich im Vorteil: Sie können ihre persönliche Reaktionszeit besser einschätzen.

Als schöne Metapher hat den Ausdruck nun Wolfgang Schäuble für sich enteckt. Dieser sieht sich angesichts des exorbitanten Haushaltslochs zu dem Bekenntnis gezwungen: „Wir fahren weiter auf Sicht.“ Also erst mal kein Ende der Schulden, mit denen der frisch gekürte Finanzminister jetzt schon zu kämpfen hat.

Übertragen auf die Fahrpraxis, will Schäuble uns damit vorwarnen: Wenn Nebelschwaden über den Straßen hängen, sind Überholmanöver nicht angebracht. Lieber den Fuß dicht über der Bremse bunkern, wer weiß, was an der nächsten Kreuzung wartet oder vom Wegesrand auf die Fahrbahn springt. Wer weiß, wann sich Nebel und Finanzkrise in Luft auflösen werden und wer und was sonst noch so eine schnelle Finanzspritze braucht. Bis dahin heißt es: Erst mal runter vom Gas und hoffen, dass einen der Gegenverkehr beim Überholen nicht übersieht.FRANZISKA LANGHAMMER