berliner szenen Die Katastrophe

Trost beim Zupfen

Er saß allein in dieser Fabriketage am Kottbusser Tor. Wenn er durchs Fenster über den hässlichen Betonbalkon hinausblickte, sah er nur die Bahnstation und einige Hochhäuser. Vormittags war hier niemand außer ihm.

Es war die Redaktion einer kleinen Kunstzeitschrift, und sie bestand aus einem einzigen großen, leeren Raum. Am Ende stand ein Schreibtisch mit einem Computer. Das war sein Arbeitsplatz. Draußen auf dem Flur saßen immer die Sprechstundenhilfen von der Zahnarztpraxis nebenan und rauchten. An denen musste er zum Pinkeln vorbei, sagte im Vorbeigehen „Hallo!“ und schloss den winzigen Toilettenraum auf. Draußen gurrten die Tauben auf dem Sims, während er den getrunkenen Kaffee auspisste. Ansonsten schrieb er ein paar E-Mails, rief bei Buchläden an und packte Zeitschriften ein, um sie in alle möglichen Städte zu verschicken: Zürich, Wien, New York. Natürlich machte er alles falsch. Das Packpapier riss ein, die Sendungen waren falsch frankiert, und er schickte sie an Leute, die gar nichts bestellt hatten. Per Telefon erreichte er sowieso niemanden. Kurz: Er war eine Katastrophe.

Im Büro stand ein Kühlschrank, der meist mit Bier- und Schnapsflaschen gefüllt war. Gerne hätte er sich gleich morgens etwas davon eingeschenkt. Aber es gab noch etwas Besseres, um sich abzulenken. In einem kleinen Nebenraum, den man als Abstellkammer und Lagerraum nutzte, stand eine verstimmte Klampfe mit nur fünf Nylonsaiten. Manchmal, wenn mal wieder gar nichts funktionierte, nahm er sich das Instrument und spielte einige tröstende Akkorde in den hallenden Raum hinein. Und dann setzte er sich wieder an den Tisch, um Post zu verpacken, die nie ankommen würde.JAN SÜSELBECK