Ab hier geht’s abwärts

WAS SAGT UNS DAS? Eine Schau in München zeigt Rubens als genialen Kopisten. Doch er war viel mehr

Klar, die dicken Weiber. Evas gewölbter Bauch, die Oberschenkeldellen, die schlaffen Oberarme – das perfekte Werbebild für das Streben hin zur realitätsgeformten, molligen Durchschnittsfrau. So kann man das Werk des Barockmalers Peter Paul Rubens (1577–1640) aktuell lesen. Wie viel mehr Modernes in ihm steckt, zeigt die Schau „Vorbild und Neuerfindung. Rubens im Wettstreit mit den Alten Meistern“ in der Alten Pinakothek in München, die sich dem Künstler als Kopisten widmet.

Doch statt die Werke seiner Vorbilder, Tizian vor allem, einfach nur abzumalen, verleiht Rubens ihnen mit seiner Handschrift Leben. Er versinnlicht Tizians Adam und Eva etwa, indem das Toben der Affekte in ihren Körpern, in ihren Gesichtern lebendig macht. Die Ausstellung zeigt Rubens als großartigen modernen Erzähler: Wie Adam gleich aufzuspringen scheint, wie seine Lippen geöffnet sind zum „Eva, tu es nicht!“, wie sein Arm sie aufhalten will. Die Angst in seinem Blick, die Neugier und Begierde in dem Evas – das alles wird besonders gewahr neben der steifen Vorlage Tizians. Verdienstvoll ist diese Nebeneinanderschau und betörend offensichtlich – und doch bleibt der Blick auf den Maler hintenan, den es in diesen Zeiten der Krise zu zeigen gelohnt hätte.

Denn Rubens ist vor allem der Maler des entscheidenden Augenblicks, des Moments höchster Steigerung, nach dem es – meist – abwärts geht. Wie die Töchter des Leukippos in den Händen von Kastor und Pollux hängen und im nächsten Moment zu Boden fallen werden, wie der sterbende Seneca sogleich leblos auf die Erde sinken wird – als Sinnbilder des Krisenfalls zeigen Rubens’ Werke die Schönheit dieser Abgrundsaugenblicke, an deren Ende nicht selten die Vertreibung aus dem Paradies steht. DAZ