Persiflagen für besorgte Bürger

Kein Entrinnen aus der Pop-Zitathölle: Der Kölner Künstler PeterLicht wendet auf seinem neuen Album „Wenn wir alle anders sind“ allerlei dadaistische und surrealistische Zaubertricks an

In Denkerpose: PeterLicht Foto: Christian Knieps

Von Jens Uthoff

Für Kunst, die mit Überzeichnung und Parodie arbeitet, sind Zeiten wie diese eine echte Herausforderung. Wenn Wahrheit und Fakten zu einer flui­den, verhandelbaren Masse werden, wenn eine linksliberale deutsche Wochenzeitung zum Thema Seenotrettung Ertrinkender im Mittelmeer titelt: „Oder soll man es lassen?“, wenn die aktuelle Bundesregierung gut ein Jahr nach der Wahl nun langsam zu den „Sachfragen“ kommen will, um mal einige Beispiele zu nennen – wie kann die Kunst darauf reagieren?

Der Kölner Künstler PeterLicht gibt auf seinem neuen Album „Wenn wir alle anders sind“ eine Antwort auf diese Frage, indem er zurückgreift auf Tricks und Kniffe aus Surrealismus und Dada. Den besorgten Bürgern dieses Landes schmettert er eine Persiflage der „Internationale“ entgegen: „Grenzdebile und Vergrätzte! Haltet eure Grenzen dicht! Dichtet dickliche Gedichte! Und preist eure blutige Geburt! Blutsverwandte und Benässte! Nässt euch ein und seid stolz! Auf eure richtigen Pigmente! Ihr seid das Holz auf dem Weg, auf dem ihr geht!“, singt er in „Emotionale – Hört die Signale“ anspielungsreich. Und er stutzt die Abendland­apokalyptiker auf Menschenmaß zurück, indem er sie „die empörten Pinörkel in Ost und West“ tauft.

Kluge Paraphrase, Wortspiele, Albernheiten. Das sind die Waffen des PeterLicht, diese Formensprache kam schon bei früheren Alben zum Einsatz. Zum Beispiel, als er (erfolglos) das „Lied vom Ende des Kapitalismus“ (2006) sang und ein paar Jahre später postulierte: „Begrabt mein iPhone® an der Biegung des Flusses“ (2011). Angenehm war, dass die Kapitalismuskritik bei dem Mann, der in frühen Jahren stets sein Gesicht verbarg, nicht platt daherkam. Im Gegenteil, er parodierte diese Disziplin ja zugleich. Auch auf dem sechsten Studioalbum des Musikers und Schriftstellers findet sich der spezielle PeterLicht-Humor; dank dessen ihm gelingt, woran viele andere derzeit scheitern: Kommentare zur Gegenwart zu verfassen, die nicht abgestanden und altbacken daherkommen sondern subversiv und witzig. Und die in der Summe gar nachdenklich stimmen.

Absurdes Dasein

Das absurde Dasein der Menschen im digitalen Kapitalismus bleibt dabei weiterhin Thema. So erweist sich gleich der erste Vers des neuen Albums – „Erst wenn der letzte Chips gegessen ist, werdet ihr sehen, dass man Chips nicht essen kann“ – als semantisches Doppel (Mikro-, Kartoffelchips), und mit Zweideutigkeiten geht es munter weiter. Das „Chipslied“ widmet sich in der Folge dem erbarmungslosen Social-Media-Dauerfeuer und den Fake News, ehe es in den Refrain mündet: „Waaaaaahr waaahr waaahr waaar war – falsch“. Die beiden Stücke zählen zu den Highlights des Albums. Aber auch Songs wie „Candy Käsemann“ und das „Kontolied“ dürften HörerInnen zusagen, die gern mit Dada etwas Druck vom Kessel lassen. Letzteres weiß mit einfachen Mitteln zu unterhalten und davon zu berichten, wie simpel der Mensch im Spätkapitalismus funktioniert. In „Liebeslied von unten/Optionslied“ bringt Licht dagegen die Wahrheit so mancher Beziehung auf den Punkt: „Ich liebe dich! Insbesondere die Option auf deine Veränderung“. So piekst er verstreut über alle Songs genüsslich in alle Wunden, läuft aber schnell davon, wenn der Eiter austritt.

Der fluffige Sound ist im Niemandsland zwischen minimalistischem Synthie-Pop und eher folkigen Singer-Songwriter-Kompositionen angesiedelt. Meist funktioniert er im Zusammenspiel mit den Texten gut. Dennoch, unter musikalischen Gesichtspunkten ist Lichts sechstes Studioalbum keine Offenbarung. Bemerkbar etwa an der Singleauskoppelung „Menschen“, die musikalisch etwas zu offensichtlich an The Cure angelehnte Melodie fällt mit einem uninspirierten Songtext zusammen. Dann wieder gibt es hübsche Details und Referenzen – die Autotune- und Bollerbeat-Verarsche in „Letzte Tote des großen Krieges“ ist launig. Denn im Zitatespiel des Pop kennt sich PeterLicht aus. Diese Qualität unterstreicht er mit „Wenn wir alle anders sind“ ein ums andere Mal.

PeterLicht: „Wenn wir alle anders sind“ (Tapete/Indigo), live: 22. 10. Köln „Gloria“, 24. 10. Hamburg „Kampnagel“, 24. 11. Essen „Zeche Carl“, geht weiter