Talent? Abgelehnt!

INTEGRATION Trotz Qualifikation haben Migranten schlechtere Chancen

Berlin taz | Wenn Betül Ulusoy eine Bewerbung schreibt, fügt sie kein Foto hinzu. Sie studiert Jura mit Schwerpunkt Wirtschafts-, Unternehmens- und Steuerrecht an der Freien Universität Berlin. Ihr Lebenslauf ist tadellos, sie hat hervorragende Zeugnisse, ist politisch engagiert. Trotzdem: Die Erfahrung hat der Jurastudentin gezeigt, dass ihre Bewerbungsmappe schnell im Altpapier landen kann. Denn, sieht der potenzielle Arbeitgeber, dass die junge Frau ein Kopftuch trägt, helfen ihr auch die besten Qualifikationen nicht.

Dass ein Migrationshintergrund ausreichen kann, um Karrieren zu verbauen, hat kürzlich eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gezeigt. Demnach haben Uniabsolventen aus Einwandererfamilien schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als ihre schon immer deutschen Kommilitonen. Oft reicht ein Nachname wie Ulusoy, um die Bewerberin gleich auszusortieren. Das Vorurteil vom niedrig qualifizierten Migranten hält sich hartnäckig – und zieht sich offenbar bis in die Chefetagen.

Kein Wunder also, dass manch türkischstämmigen Akademiker nach dem einhundertsten standardisierten Absageschreiben die Lust am Bewerben vergeht. Vor allem, weil es woanders so viel einfacher ist. Mehrsprachigkeit, Kenntnis verschiedener Kulturen und unterschiedlicher Religionen – das sind Qualifikationen, die im Ausland gefragt sind. In der Türkei etwa. Dorthin wollen nach einer Studie des Forschungsinstituts futureorg 38 Prozent der türkischstämmigen Akademiker auswandern.

Deutschland – ein Land, in dem Bildung der Schlüssel zum Erfolg ist? Ein Land der Chancen? Im neuen Koalitionsvertrag ist viel von Fachkräftemangel die Rede. Die Kenntnisse und Fähigkeiten aller Zuwanderer seien eine Ressource, auf die wir nicht verzichten könnten, steht da. Oder: Die Attraktivität Deutschlands für Hochqualifizierte müsse gesteigert werden.

Metin Cimen kann darüber nur lachen. Er ist einer der gut qualifizierten Absolventen, die dieses Land, glaubt man den Politikern, so dringend braucht. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Kommunikationswissenschaft, hat Berufserfahrung in verschiedenen Agenturen. Über Monate hinweg hat er sich beworben, für Festanstellungen, Praktika, Teilzeitstellen. Nur Absagen. Dann hatte er genug. Er entschloss sich, nach England zu gehen. Nach drei Wochen in London hatte er drei Vollzeitstellenangebote. Ob er sich vorstellen könne, nach Deutschland zurückzukehren? „Nein“, sagt Cinem, „Deutschland hat ein rigides Klassenbildungssystem, das selektiert und keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten bietet.“

Metin Cinem hat vom deutschen Bildungssystem profitiert, er hat studiert und sich weitergebildet – am Ende ist er gegen eine Wand gelaufen. Solange Menschen wie er das Gefühl haben, ein zwar geduldeter, aber nie zugehöriger Teil dieser Gesellschaft zu sein, sagt er, werden in Deutschland weiterhin Talente verprellt. Talente wie Betül Ulusoy. Die Jurastudentin, die sich nebenbei bei der Jungen Union und Amnesty International engagiert, weiß, wo sie hinwill: in eine große Wirtschaftskanzlei. Wo ihre hohen Qualifikationen anerkannt werden – zur Not auch im Ausland. FARINA AHÄUSER