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: Versunkene Welt: Jan Weilers deutsch-italienisches Lustischkeitsbuch „Antonio im Wunderland“

Das erste Vorwort lehrt das Fürchten: Vorsicht, Witz! Vorsicht, Lustischkeit! Der Autor erklärt, warum er Fußnoten verwendet: „machen was her“. Zum anderen will er einen Freund damit ehren, der von Beruf Fußnotenautor ist und auch schon für Promis tätig war. Deren Namen sind geschwärzt, so Schwärzungen, die sind schick und machen ja gleichfalls was her! Ach, was haben wir gelacht! Und was haben wir gezögert, das zweite Vorwort zu lesen und überhaupt diesen Roman, der so früh mit seiner Witzigkeit so wild wedelt und mehr eine anekdotenreiche Episodensammlung als ein Roman ist. Doch so schlimm geht es gar nicht weiter. Schon bemüht witzig, aber so kurzweilig, dass man bis zum Ende liest. „Antonio im Wunderland“ heißt dieses Buch, das zunächst alle Alarmglocken angehen lässt. Es stammt von dem ehemaligen SZ-Magazin-Redakteur Jan Weiler, es ist sein zweites, und es ist ein Antonio-Sequel. In der ersten Folge mit dem Titel „Maria, ihm schmeckt’s nicht“, die sich nach Erscheinen 2003 inzwischen über eine halbe Million verkauft hat, berichtete der Ich-Erzähler, vulgo Weiler, von seinem Schwiegervater Antonio und dessen italienischer Familie, in die er als Deutscher eingeheiratet hatte. Das Buch beschreibt das Zusammentreffen zweier Welten und Gesellschaftsschichten: des deutschen Bürgersöhnchens aus München mit einer kleinbürgerlichen italienischen Großfamilie, von Deutschland mit Italien, von deutscher Miefigkeit mit einem seit über 30 Jahren am Niederrhein lebenden italienischen Spießer. Dieser schlägt etwa seinem zukünftigen Schwiegersohn vor, doch nicht, wie gewünscht, Tochter Sara zu heiraten, sondern die Ältere: „Ihre Schwester iste anders, feiner, bisschen netter auch. Warum willste nicht Lorella heiraten?“

„Antonio im Wunderland“ geht dort weiter, wo der Erstling aufgehört hat: Antonio ist frisch berentet, es folgt ein Urlaub in Italien, ein Oktoberfestbesuch, und endlich, nach der Hälfte des Buches, der Besuch Antonios im Wunderland, in New York. Dorthin reist er mit seinem Schwiegersohn und mit Freund Benno, um einen italienischen Sandkastenfreund und jetzigen Stararchitekten aufzusuchen, der die Altstadt von Antonios Heimatstädtchen Camporosso wiederaufbauen soll. Einen entscheidenden Tipp bei der Suche gibt übrigens Roberto De Niro leibhaftig.

Wie sein Vorgänger ist „Antonio im Wunderland“ eine Aneinanderreihung von Anekdoten, ein Spiel mit Klischees, Nationenstereotypen und Trapattoni-Deutsch; ein Buch, so hätte es Weiler gern, übers „Fremdsein“, über „unsere Angst vor dem Fremden“ und die Überwindung dessen. Seinen Reiz bezieht es vor allem daraus, dass Weiler sich nicht scheut, über Dinge zu schreiben, über die eigentlich niemand mehr schreibt: darüber, wie es auf dem Oktoberfest zugeht, auf Flughäfen, auf dem Times Square, der Fifth Avenue, bei einem Kegelabend und so weiter. Das immer aus deutscher Sicht, aber fein gefiltert durch den italienischen Kleinbürger Antonio. Ob Weiler nun aber gleich den Wunsch der 30- bis 40-Jährigen nach „Heimat“ bedient, die Sehnsucht danach, „endlich wieder dort anzukommen“, wo man herkommt, in der Provinz, wie es die FAZ gemutmaßt hat?

Vielmehr ist es so, dass Weiler, und deshalb hat er so einen riesigen Erfolg („Antonio im Wunderland“ steht auf Platz vier der Spiegel-Bestsellerliste), eine scheinbar versunkene Welt auferstehen lässt. Eine Welt, die weiterhin groß ist und mitten unter uns liegt, aber dem medialen Bewusstsein fast völlig entfallen ist (in Spuren gibt es sie noch im MDR). Sie wieder sichtbar zu machen, in einer Zeit, da ein jeder superindividuell und supercool und superweltläufig ist und auch Antonios Altersgenossen in der Realität alle Ray-Ban-Brillen auf dem Kopf und Louis-Vuitton-Täschchen am Handgelenk haben, das ist geradezu ein Verdienst dieses Buches. GERRIT BARTELS

Jan Weiler: „Antonio im Wunderland“. Kindler Verlag, Reinbek 2005, 266 Seiten, 16,90 Euro