„Die erste Schwarze im Weltall!“

Afrofuturismus, Buzzword der 90er Jahre, ist wieder en vogue. Mit „The Comet – 150 Jahre W.E.B. Du Bois!“ macht sich das Hebbel am Ufer vom 1. bis 3. November auf die Suche nach den Ursprüngen der Bewegung

Uhura und ihr Fan Martin Luther King : Stacey Robinson Foto: Illustration

Interview Astrid Kaminski

Die Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly sucht mit ihrem Projekt „The Comet“ im HAU nach den Ursprüngen der Ästhetik des Afrofuturismus, um daraus eine Vision für Schwarzes Kunstschaffen in Deutschland zu entwickeln. Unter anderem wird der Frage nachgegangen: Was hat der US-amerikanische Autor und Soziologe W.E.B. Du Bois mit Deutschland zu tun?

taz: Frau Kelly, warum widmen Sie als Feministin Ihr Projekt über Afrofuturismus W.E.B. Du Bois?

Natasha A. Kelly: Mein Fokus liegt auf Deutschland und der Frage: Wie wurde das Afrodeutschsein geprägt? Du Bois hat hier von 1892 bis 1894 studiert, unter anderem bei Max Weber. Er hat sich intensiv mit der deutschen Denktradition beschäftigt. Weber wurde wiederum stark von Du Bois beeinflusst – auch wenn er Du Bois’ Ideen für seine Zwecke missbrauchte. Darüber wissen wir kaum etwas. Warum? Warum lernen wir nichts über Du Bois’ Idee, race als etwas Soziologisches zu sehen und nicht als etwas Biologisches? Darüber, dass der Begriff „Rasse“ aus Rassismus entstanden ist – und nicht umgekehrt? Unglaublich: Der Mann war vor mehr als 100 Jahren hier, und wir haben es immer noch nicht kapiert.

Du Bois’ Hauptwerk, „The Souls of Black Folk“, wurde erst 2003 von dem Independent-Verlag Orange Press übersetzt.

Max Weber hatte das zwar damals schon in Angriff genommen, aber keinen Verleger gefunden. Warum? Mit der Frage, wie Machtstrukturen Schwarzes Denken daran gehindert haben, ins deutsche Wissenssystem Einzug zu erhalten, habe ich mich bereits in meiner Dissertation beschäftigt. Du Bois wiederum hat zwei Dissertationen geschrieben. Die erste an der Humboldt-Universität. Sie wurde von zwei Gutachtern für gut befunden, konnte aber letztlich nicht eingereicht werden, weil die Verlängerung seines Stipendiums nicht bewilligt wurde. Also hat er noch eine zweite Diss an der Harvard University eingereicht. Seine Gedanken zu Rassismus hat er dann erst später wieder aufgenommen.

Zum Projekt am HAU gehören Lectures und Gespräche, aber auch eine Ausstellung. Neben der ersten bekannten afroamerikanischen Aktivistin Sojourner Truth ist Nyota Uhura, die Kommunikationsoffizierin aus „Star Trek“, zu sehen.

Die erste Schwarze im Weltall! Martin Luther King war großer Fan von ihr. Für mich hatte sie früher definitiv auch einen Wow-Effekt. Sie wurde dargestellt als Bantu, die Swahili und sämtliche andere Sprachen konnte, sie hatte eine afrikanische Identität! Aber halt nur im Weltraum. Das ist, um Frantz Fanons Begriff zu benutzen, eine Form der „Alienation“, die für den Afrofuturismus prägend wurde. Gerade auch für Sun Ra, der sagte: Wenn Schwarze nicht als Menschen wahrgenommen werden, dann geb ich’s auf, Mensch zu sein, und lebe lieber als Alien auf Saturn.

Es scheint zwei Strömungen zu geben: eine utopische, die sagt „Tschüss, Erde, wir machen was Besseres auf“, und eine pessimistische, etwa bei Politikwissenschaftler Achille Mbembe, die glaubt, dass sich die Kolonialismusperversität nicht loswerden lässt.

Der Begriff „Afrofuturismus“ wurde in den 1990ern von dem weißen Literaturkritiker Mark Dery geprägt, aber das Phänomen gab es schon viel früher. Es kann beispielsweise auf die schon erwähnte ehemalige Versklavte Sojourner Truth und ihre berühmte Rede „Ain’t I a woman?“ (1851) zurückgeführt werden, die schon eine klare Vision der Zukunft von Schwarzen hatte. Ich bin für den proaktiven Ansatz: Wenn wir hier nicht mitgedacht werden, dann kreieren wir eben eine eigene Zukunft. Und zwar indem wir in die Vergangenheit zurückgehen und erst einmal jede Form der Kolonialisierung auslöschen.

Alexander Weheliye wird einen Schwerpunkt auf Black Fem R&B, queeren Rhythm and Blues, aus den Vereinigten Stataten legen. Davon wollen Sie eine Brücke schlagen zu Schwarzen deutschen Masters of Ceremonies aus den 1990ern, als in der Musik erste afrodeutsche Perspektiven auftauchten. Liegen da nicht Welten dazwischen?

Absolut. Wir sind in Deutschland dem globalen Diskurs mindestens 30 Jahre hinterher. Wir müssen die zweite Bewegung des Afrofuturismus, die als philosophische und technokulturelle Erweiterung zu verstehen ist, hier erst noch einholen, gleichzeitig aber unsere eigene Perspektive entwickeln, bei unserer eigenen Geschichte anfangen. Viele kennen ja die Schwarze deutsche Musik der 80er und 90er heute nicht mehr. Deshalb war es mir wichtig, aus dieser Ära Frederik „Torch“ Hahn einzuladen, der damals mit Advanced Chemistry einer der ersten afrofuturistisch geprägten Musiker in Deutschland war, heute aber als DJ Haitian Star ganz andere Sachen macht.

Du Bois sagte, Musik sei das mächtigste Kommunikationsmittel der Schwarzen Kultur …

Mehr noch: Musik ist die einzige Kommunikationsform, die nicht infrage gestellt wird, wenn es ums Schwarzsein geht. Daher ist es ein Medium, um Schwarze Themen, die ja in der weißen Mehrheitsgesellschaft eher Randthemen sind, in den Vordergrund zu bringen. W.E.B Du Bois hat wohl nicht umsonst gesagt, dass Kunst immer auch Propaganda ist.