die woche in berlin
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Das Hickhack um die nächtliche Öffnung von U-Bahnhöfen für Obdachlose geht in eine neue Runde. Die Holzmarkt-Genossenschaft verklagt das Land Berlin auf 19 Millionen Euro Schadenersatz. Die Elsenbrücke muss abgerissen werden. Und es findet sich einfach niemand mehr, der die traditionsreiche Silvio-Meier-Demonstration organisieren will

Die BVG als unser aller Spiegel

U-Bahnhöfe für Obdachlose

Meine Güte, war das ein Gezerre die letzten Tage. Warum, mögen sich viele gefragt haben, kann die BVG nicht alles lassen, wie es war? Seit Jahren sind im Winter nachts ein paar U-Bahnhöfe geöffnet für Obdachlose, die – warum auch immer – nicht in Notübernachtungen gehen. Warum soll das auf einmal nicht mehr so sein?

Die BVG sagt, weil es zu viele geworden sind. Weil die meisten des Deutschen nicht mehr mächtig sind, sie immer aggressiver, betrunkener, kränker werden – und die Sache dadurch lebensgefährlich werde. Weil nämlich inzwischen „regelmäßig“ Leute ins Gleisbett fielen und also überfahren werden oder am Stromschlag sterben könnten.

Nun ist der Befund, dass die „Klientel“ zahlreicher wird und sich verändert hat, nicht neu – auch die Akteure der Wohnungslosenhilfe bestätigen das. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Man kann sagen, wie die BVG es zunächst tat: Das wird uns zu viel, da machen wir nicht mehr mit – schließlich sind wir kein Hilfsverein, sondern ein Transportunternehmen.

Man könnte auch den umgekehrten Weg gehen: Wenn es immer mehr werden, mache ich halt mehr Bahnhöfe auf. Dann verteilen sich die Leute besser. In Köln etwa, der Heimatstadt der Autorin, waren früher immer alle U-Bahnhöfe nachts offen, da hatte quasi jeder Obdachlose eine Station für sich. Warum nicht auch in Berlin? Weil hier die Denklogik herrscht: U-Bahnhöfe gehören nachts geschlossen – und das war schon immer so. Womöglich legt sich sonst jemand, Gott bewahre, auf eine Wartebank zum Schlafen. Oder fällt ins Gleisbett.

Was allerdings auch nicht in die Logik der BVG passt: Dass sie jetzt – nachdem der Senat gefordert hat, dass sie doch U-Bahnhöfe öffnen soll – auf einmal so besorgt um die Obdachlosen ist, dass sie Sozialarbeiter für diese fordert. Denn in den beiden geöffneten U-Bahnhöfen sollen ja nun Sozialarbeiter für Sicherheit und Ordnung sorgen.

Was genau die dort sollen, ist unklar. Dafür sorgen, dass die Druffis die eigens angeschafften Dixiklos benutzen? Dass sie nicht ins Gleisbett fallen? Wohl kaum, denn es wurden ja Moritzplatz und Lichtenberg ausgesucht, weil es dort Zwischen­ebenen gibt mit Platz abseits der Gleise. Auch die Vorstellung, die Sozialarbeiter sollen für Nichtraucherschutz oder das Unterbleiben von Drogenkonsum sorgen, ist absurd. Wenn sie das täten oder wenn sie anderweitig missionieren würden – blieben die U-Bahnhöfe vermutlich leer.

Halten wir fest: Das Schwanken der BVG zwischen Gleichgültigkeit und Paternalismus ist vernünftig kaum zu erklären. Aber es ist auch ein Spiegel des gesellschaftlichen Umgangs mit Obdachlosen. Insofern ist das Gezerre auch wieder verständlich. Susanne Memarnia

Florian Schmidts Prioritäten

Der umstrittene Stadt- rat und der Holzmarkt

Mitte der Woche platzte eine kleine Bombe. Die Holzmarkt-Genossenschaft verklagte das Land Berlin auf 19 Millionen Euro Schadenersatz. In Wirklichkeit war aber nicht das Land Berlin der Adressat der öffentlichkeitswirksamen Aktion, sondern Florian Schmidt, der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg.

Geradezu dankbar griff die Opposition die Steilvorlage auf. „Florian Schmidt hat die Idee des Eckwerks und des Holzmarktes von Anfang an nicht verstanden und stattdessen sabotiert“, kritisierte der CDU-Haushaltspolitiker Christian Goiny auf ­Facebook. Dass Schmidt sich weigerte, einen rechtlich fragwürdigen B-Plan durchzuwinken, ist der CDU egal.

In dieser Woche wurde aber auch deutlich, wo der tatsächliche politische Schwerpunkt Schmidts liegt. Und zwar nicht beim Support der Business-Hippies an der Spree, sondern beim Schutz von Mieterinnen und Mietern, die akut von Spekulation und Verdrängung betroffen sind.

Konkret geht es um 600 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee, die die Deutsche Wohnen gekauft hat. Weil diese, anders als 100 weitere, nicht im Milieuschutzgebiet liegen, greift das bezirkliche Vorkaufsrecht nicht.

Jeder andere Bezirkspolitiker würde an dieser Stelle mit den Schultern zucken und mitteilen, dass ihm die Hände gebunden seien. Nicht so Florian Schmidt. Er hat in kürzester Zeit einen Vorschlag entwickelt, wie die Mieter doch noch gerettet werden können. Denn jeder hat gegenüber der Deutsche Wohnen ein individuelles Vorkaufsrecht, allerdings muss das Geld bar auf den Tisch. Schmidt will nun mit einer Wohnungsbaugesellschaft ein treuhänderisches Modell entwickeln, in dem die Gesellschaft den Mietern den Kauf finanziert, die Wohnung aber sofort in den Besitz der Gesellschaft übergeht, die sie wiederum an die Mieter vermietet. 80 Prozent aller Mieterinnen und Mieter, hofft Schmidt, könnten davon profitieren.

Ob es tatsächlich so kommt, wird man sehen. Interessant ist aber die Priorität, die der grüne Stadtrat setzt. Gesetzt, dass jeder Politiker nur ein begrenztes Potenzial an Energie hat, um in aussichtslosen Fällen nach ungewöhnlichen Lösungen zu suchen, hat Schmidt gezeigt, wer ihm wichtiger ist. Weiter so.Uwe Rada

Jeder andere Bezirkspolitiker würde an dieser Stelle mit der Schulter zucken und mitteilen, dass ihm die Hände gebunden seien

Uwe Radaüber Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, der derzeit in der Kritik steht

Zwei Groß- projekte ausbremsen

Abriss und Neubau der Elsenbrücke

Geahnt hat man es seit Sommer. Da war am östlichen Teil der Elsenbrücke ein 25 Meter langer, horizontaler Riss aufgetaucht – diese Seite der Autoverbindung zwischen Friedrichshain und Treptow wurde daraufhin gesperrt. Seit Dienstag ist nun gewiss: Die ganze Brücke muss neu gebaut werden. Da der zweite Brückenteil baugleich ist, bestehe die Gefahr, dass auch dort ähnliche Schäden entstehen, sagte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen). Eine Sanierung? Unmöglich.

Bis 2028 sind die Bauarbeiten angesetzt – wenn es gut läuft, sprich: der Westteil der Brücke noch drei Jahre nutzbar bleibt. Zehn Jahre ist also im besten Fall nur die Hälfte einer der wichtigsten innerstädtischen Spreebrücken Ostberlins befahrbar. Gleich zwei für den Senat bedeutende Großprojekte werden dadurch (aus)gebremst.

Zum einen der BER. Denn egal, ob der Flughafen wie geplant 2020 oder erst 2025 eröffnet: Viele Menschen müssen wegen des drohenden Verkehrsengpasses deutlich mehr Zeit und Nerven einrechnen, um aus Berlins Norden nach Schönefeld oder von dort in die Stadt zu kommen. Zum anderen die A 100. Deren Verlängerung bis vor die Elsenbrücke wird 2023 fertig sein: Die Autofahrer werden dann geradewegs ins Verkehrschaos geführt, weil die dann prognostizierten 80.000 Fahrzeuge täglich die Kapazität der nur eingeschränkt nutzbaren Brücke übersteigen.

Vielleicht scheitert sogar die geplante (aber von Grünen und Linken abgelehnte) weitere Verlängerung der A 100 bis ans Ostkreuz an der Baustelle. Die neue Elsenbrücke sei explizit keine Autobahnbrücke, betont die Verkehrssenatorin. Aber eine solche jetzt zu planen, dafür sei keine Zeit angesichts der Schäden. Insgesamt unterstreicht der Fall, wie dringend ein Ausbau des ÖPNV ist. Bert Schulz

Ende ohne Schrecken

Die Silvio-Meier-Demo gibt es nicht mehr

Aus und vorbei: Die ­traditionsreiche antifaschistische Silvio-Meier-Demonstration gibt es nicht mehr, wie diese Woche bekannt wurde. 25 Jahre lang gedachten AntifaschistInnen mit dieser Demonstration des Berliner Hausbesetzers Silvio Meier, der am 21. November 1992 im U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis ermordet wurde. Die Teilnehmerzahl war bereits in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. In diesem Jahr fand sich schlicht keine Gruppe mehr, die die Organisation der Gedenkdemonstration übernehmen wollte.

Das ist schade, einerseits. Jahrelang war die Silvio-Meier-Demo ein wichtiges Ereignis vor allem für jüngere DemonstrantInnen, die dafür aus ganz Deutschland nach Berlin anreisten. Antifaschistisches Gedenken und Nachwuchsarbeit gingen hier Hand in Hand.

Menschen über die Szene hinaus zu mobilisieren war dabei nie das Ziel. Das merkte man der Demonstration auch an, ihre Berechtigung hatte sie lange dennoch. Zuletzt allerdings erstarrte sie zum selbstbezüglichen Ritual, auch die Bezugnahme auf aktuelle politische Entwicklungen und Ereignisse wollte nicht mehr recht gelingen.

Dass es die Demo in dieser Form nicht mehr gibt, ist deswegen kein großer Verlust. Zumal es eine Fehlinterpretation wäre, vom Ende der Silvio-Meier-Demonstration auf einen grundsätzlichen Niedergang antifaschistischer Bewegung in Berlin zu schließen. Im Gegenteil: Nach einigen Jahren eher mauer Mobilisierungen zogen Proteste gegen rechts in diesem Jahr wieder mehr Menschen an. Und auch um den Nachwuchs muss man sich keine allzu großen Sorgen machen: Obwohl es in Berlin kaum Gruppen gibt, die sich die Nachwuchsarbeit auf ihre Fahne geschrieben haben, sind es auffällig viele sehr junge Leute, die in den letzten Monaten gegen die Bärgida-Kundgebungen, den Rudolf-Heß-Marsch oder die bundesweite AfD-Demonstration protestierten.

Die Voraussetzungen für ein Wiedererstarken antifaschistischer Bewegung sind also gegeben. Jetzt müssen sie nur noch genutzt werden. Gedenken und lebendige Traditionen können dabei hilfreich sein, erstarrte Rituale eher nicht. Dass mit dem Ende der Silvio-Meier-Demons­tration nun Platz für Neues ist, ist deswegen auch eine gute Nachricht. Malene Gürgen